Die Facette Ruleset

Die Facette Ruleset

Lesezeit (inkl. Mediennachweis): 5 Minuten

Dieser Blogbeitrag ist Teil eines Vierklangs, wozu auch das Toolset, Mindset sowie Skillset das gehören und baut inhaltlich auf den einführenden Teil zur Zeitautonomie auf, in welchem auch die Medien- und Literaturhinweise hinterlegt sind.

Das Ruleset einer Organisation

Beginnen wir zunächst mit einem Blick auf das Regelwerk (engl. Ruleset) einer Organisation als eine der Bedingungen für ein zeitsouveränes Handeln im digitalen Zeitalter. Dabei bezieht sich das Ruleset sowohl auf die Gestaltung der Strukturen und Prozesse einer Organisation als auch auf die dahinterstehenden Wertvorstellungen und gehört, neben der Auswahl und dem Einsatz von Methoden, zur Aufgabe einer Organisationsentwicklung (vgl. Klier 2021, S. 3f.). Sinn und Zweck dieses (oft auch zeitlichen) Regelwerks ist das effiziente Erreichen von vorab geklärten Zielen, was jedoch aufgrund der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Ziele in komplexen Organisationen eher zu Zielkonflikten als zu Lösungen führt. Grund dafür sind die verschiedenen Herangehensweisen bei der Strukturierung des jeweiligen Ruleset einer Organisation, die Pfläging in Alpha und Beta Unternehmen unterteilt (vgl. Pfläging 2016). 

Ruleset Alpha

Die derzeit verbreitete Realität ist die einer tayloristischen Organisation, in deren Rahmen die zuvor beschriebenen Zielkonflikte durch einen hierarchischen Bauplan zu vermeiden versucht werden (vgl. Klier 2021, S. 17). Hier bestimmt das Ruleset der Organisation die Zusammenarbeit, indem es den einzelnen Mitarbeitenden bspw. vorgibt, wie welche Werkzeuge wann von ihnen anzuwenden sind und welche damit zusammenhängenden Handlungen von ihnen erwartet werden. Und dieses Regelwerk einer mit Macht ausgestatteten vermittelten Zusammenarbeit benötigt es auch, solange das organisationale Bild des X-Menschen vorherrscht, auf dem es beruht. Denn wenn man davon ausgeht, dass die Menschen eine angeborene Abneigung gegen Arbeit haben und dieser grundsätzlich versuchen aus dem Weg zu gehen (vgl. McGregor 1966, S. 12), muss das Ruleset entsprechend auf die Kontrolle der Aufgabenausführung ausgerichtet sein. An dieser Stelle gilt es wachsam zu bleiben, denn hierarchisch steuernde Denkmuster bilden sich gleichsam unbemerkt und reflexhaft aus. Eigentlich will man nur die Probleme in den Griff bekommen, übersieht dabei jedoch, dass mit starren Regeln nur deren Symptome behandelt werden. Der Grund dafür sind nicht die Menschen, aber ihre mentalen Modelle, Theorien über Organisation, Zusammenarbeit und die Natur von Leistung und Wertschöpfung, oder besser gesagt: ihr veraltetes Menschenbild. Und das führt uns auch direkt zum Beta Unternehmen und der Erklärung, warum man nicht eine bessere Organisation versuchen kann zu bauen, in der Hoffnung, dass sich das dazugehörige Denken irgendwann später entwickelt. Pfläging meint dazu jedenfalls:

„Transformation beginnt mit Herz und Hirn – und geht dann zur Hand. Nicht umgekehrt!“ 

(Pfläging 2016).

Ob dem der Fall ist, oder sich aus der praktischen Kollaboration nicht auch die Transformation anstoßen ließe, steht auf einem anderen Blatt und würde an dieser Stelle zu weit führen. Zwar hatte der Taylorismus lange Zeit seine Daseinsberechtigung, inzwischen haben sich jedoch die Gesellschaft und die Welt verändert, wodurch gleichsam neue Formen der Steuerung in Organisationen notwendig geworden sind. Zurück zu denen, die die Leistung wirklich erstellen, um die in Widerspruch geratenen Regeln dort neu zu verhandeln. Dabei geht es vor allem darum zu erkennen, dass die digitale Transformation kein Schicksal ist, das einem einfach widerfährt, sondern letztlich menschengemacht und somit auch gestaltbar (vgl. John Kotter 2016). 

Pixabay: Lizenzfreie Verwendung unter den Bedingungen von Pixabay / Foto: Jürgen Jester

Ruleset Beta

Und wo könnte man besser damit anfangen als bei der Ausgestaltung des Ruleset und der Schaffung von Bedingungen, unter denen die Mitarbeitenden motiviert sind und ihrem Streben nach Selbstverwirklichung nachkommen können, was wiederum den sogenannten Y-Menschen entspricht. Dazu gehören die Möglichkeit der Partizipation und größere Verantwortungsbereiche ebenso, wie eine flexible Organisationsstruktur sowie eine etablierte Gruppenarbeit (vgl. Klier 2021, S. 19). Insbesondere die Gruppen und Teams sind hier von essenzieller Bedeutung. Denn das neue Ruleset wird nicht nur von ihnen festgelegt und gestaltet, sondern beinhaltet zudem organisationale Aufgaben und Ressourcen, auf deren adäquate Ausstattung und Verteilung in der Gruppe gemeinsam geachtet wird, wodurch die Verantwortung für das Erreichen der Ziele nicht mehr nur bei den einzelnen Gruppenmitgliedern liegt.

Wir halten fest: Eine Änderung des Ruleset kann nur über die entsprechenden Gruppen und Teams erreicht werden. Es ermöglicht, dass die betroffenen Organisationsmitglieder Prozesse selbst gestalten können, anstatt sie nur durch das Management vermittelt zu bekommen. Dafür benötigt es jedoch zunächst die richtige Einstellung, nämlich dass Zusammenarbeit in der Natur des Menschen liegt, die ihnen meist nur aufgrund eines falsch verstandenen Menschenbildes im betrieblichen Kontext aberzogen wurde. „Insofern muss man sie eher durch klare Regelungen, dass eine Kollaboration ausdrücklich erwünscht ist, dazu befähigen, sie wieder zu (er-) leben.“ (Klier 2019). Gelingt den Organisationen solch ein echtes Empowerment ihrer Mitarbeitenden, haben wir es mit einem radikalen Strukturumbruch mit neuen Chancen der Partizipation und Teilhabe in und an Organisationen zu tun. Was das alles nun für die SZA bedeutet, darauf möchte ich nun genauer eingehen.

Ruleset und Zeitautonomie

An dieser Stelle geht es darum eine Antwort auf die Frage zu liefern, wie die Struktur von erwerbstätigem und außerberuflichem Sinn- und Arbeitsgefüge zu gestalten ist, um sie wieder deutlich und vor allem machbar zu machen – kurz um: wie eine soziale Zeitautonomie im digitalen Zeitalter gelingen kann und ob dadurch zugleich die unterschiedlichen Verständnisse und Empfindungen von Autonomie zusammengeführt werden. 

Die Grundvoraussetzung dafür ist in erster Linie das passende Ruleset mit dem Ziel eines zeitsouveränen Handelns. Im engeren Sinn ist damit die Möglichkeit gemeint, die eigene Arbeitszeit selbst zu bestimmen und die gewählte Arbeitszeit selbständig weiter einzuteilen, also festzulegen, wann und in welcher Reihenfolge was gemacht wird. Es soll den betroffenen Organisationsmitgliedern ermöglichen Prozesse selbst zu gestalten, anstatt sie nur durch das Management vermittelt zu bekommen. Dafür bietet eine digitale soziale Kollaboration als soziale Technologie und Ruleset im Prinzip alle Möglichkeiten. Denn entgegen den Regeln des klassischen Zeitmanagements – die als individuelle Selbststeuerungsmethode die Verdichtung zeitorganisatorischer Regelungen in der Arbeit und den damit einhergehenden Druck auf die Beschäftigten eher noch befördern – ermöglicht erst ein gruppenbezogenes Ruleset eine echte kollaborative zeitliche Gestaltbarkeit. In Verbindung mit dem entsprechenden Mindset, Skillset und Toolset innerhalb der Communities und angepasst an die jeweiligen Lebensphasen der Gruppenmitglieder sollen dabei auch die Zeitinteressen anderer im eigenen Handeln anerkannt werden (vgl. Trinczek 2005, S. 386). Im Sinne einer fürsorglichen Praxis ist es somit die Aufgabe des organisationalen Regelwerkes die Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit in den Communities zu schaffen, wie etwa Rücksichtnahme, Aushandlung und Interaktion. Denn:

„Erst sozial ausgehandelte Freiräume in der zeitlichen Gestaltung und temporären Ausgestaltung ermöglichen es, im digitalen Zeitalter zeitsouverän zu arbeiten und zu leben.“ 

(Klier 2021, S. 27).

Auch macht die Verwendung digitaler Plattformen, insbesondere wenn sie anwendungsoffen konzipiert sind, ein angepasstes zeitliches Ruleset unumgänglich. Will man nämlich effizient und gemeinsam mit der Anwendung arbeiten – ohne, dass sie zu einer Überlastung führt – müssen sich die Gruppen auf die damit zu erreichenden Einsatzziele verständigen. 

Grundsätzlich muss die Organisation bei der Arbeit in Communities darauf achten die Balance zwischen Agilität und Stabilität sowie zwischen den individuellen und den kollektiven Zeitinteressen zu bewahren, wenn sie eine SZA  erlangen möchte (vgl. ebd. S. 19). Das lässt sich dann einfach kommunikativ erreichen, und zwar konsequenterweise im Teamgespräch. Für eine echte SZA benötigt es schlussendlich also ein Ruleset, das zeigt, dass der soziale Lebensvollzug relevant ist. Indem es bspw. mithilfe frei gestaltbarer und großzügiger Pausenregelungen möglich wird seine Verpflichtungen aus Fürsorgeleistungen mit dem beruflichen Alltag zu verbinden, macht das Ruleset die bezahlte reproduktive Pause zu etwas Selbstverständlichem.

Welche anderen Facetten es gibt und wie diese gestaltet sein müssen, um eine soziale Zeitautonomie zu gewährleisten, findet ihr hier heraus: Die Facette Toolset, Die Facette Mindset und Die Facette Skillset.

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