
Die offene Delegiertenwahl in der Soziokratie
Dieser Beitrag entstand als Leistungsnachweis der Studierenden Thomas Becker und Sabine Weber[1]Beide Namen sind, auf eigenen Wunsch, pseudonymisiert. im Wintersemester 2024/25 im Rahmen des Moduls „Organisationen und ihre Handlungsressourcen“ an der Hochschule München.
Titelbild: Microsoft Designer[2]Prompt: „Eine Gruppe von Menschen stimmt in einem Stuhlkreis per Handzeichen ab.“
Inhalt
- 1 Soziokratische Organisationen
- 2 Die vier Prinzipien der Soziokratie
- 3 Fallbeispiel – Die Bürgerinitiative für den Klimaschutz
- 4 Beschreibung der Gruppenarbeit
- 5 Reflexion der Gruppenarbeit
- 6 Der Umbau hin zu einer soziokratischen Organisation
- 7 Die Erstellung des Leistungsnachweises und die Lehrveranstaltung – eine gemeinsame Reflexion
- 8 Organisatorisches
Soziokratische Organisationen
Das Wort Soziokratie bedeutet übersetzt „Gemeinschaft regiert” (vgl. Schallhart 2016, S. 1). Eine soziokratische Gemeinschaft beruht auf gemeinsam geteilten Werten und Vorstellungen, sowie der Gleichberechtigung und Verantwortung aller Mitarbeiter*innen innerhalb einer Organisation (vgl. Strauch 2022, S. 35). Der Aufbau soziokratischer Organisationen folgt der „Soziokratischen Kreisorganisationsmethode” (SKM) nach dem niederländischen Unternehmer und Autor Gerard Endenburg. Demnach werden sämtliche Arbeitsprozesse in thematischen Arbeitskreisen gesteuert, die einem übergeordnetem Koordinationskreis unterliegen (vgl. Sociocracy For All, 2019). Der folgende Beitrag geht stärker auf die typischen Merkmale soziokratischer Organisationen ein und verdeutlicht anhand eines Beispiels, wie Soziokratie in einem Unternehmen funktionieren kann. Dieses Beispiel, das wir ihm Rahmen einer erbrachten Gruppenarbeit im Kurs „Handlungsressourcen komplexer Organisationen in der Kultur der Digitalität” fokussiert betrachtet und geübt haben, soll hier erläutert und kritisch reflektiert werden. Die eigenen Learnings und ein paar zusammenfassende Gedanken runden den Beitrag ab.
Die vier Prinzipien der Soziokratie
Zur täglichen Arbeitssteuerung werden spezifische Kommunikationsformen in soziokratischen Organisationen genutzt, die in den Unterpunkten nach den vier Prinzipien der Soziokratie näher beleuchtet werden (vgl. Strauch 2022, S. 25).
Das Konsentprinzip
Nach dem „Konsentprinzip” werden Beschlüsse in den soziokratischen Arbeitskreisen getroffen, wenn kein schwerwiegender Vorwand vorliegt (vgl. Sociocracy For All, 2019). Konsent darf nicht mit Konsens, der Übereinstimmung aller Meinungen, gleichgesetzt werden (ebd.). Vor der Durchführung einer Konsentwahl sollten sich alle Mitarbeiter*innen über das spezifische Thema informieren und eine Meinung über den entworfenen Vorschlag bilden (vgl. Strauch 2022, S.36ff.). In der ersten Meinungsrunde fordert die moderierende Person alle anwesenden Kreismitglieder auf, ihre Meinung zu dem geplanten Beschluss kundzutun (ebd.). Entscheidend ist, dass sich alle jede Meinung anhören und es auf diesem Weg zur gegenseitigen Inspiration im Austausch von Argumenten kommen kann (vgl. Brüning, 2020). Aufgrund der schlüssigsten Argumentationen stellt die moderierende Person einen Beschluss zum Konsent (ebd.). Wird dieser ohne schwerwiegenden Einwand angenommen landet er im übergeordneten Koordinationskreis, der nach demselben Prinzip abstimmt (vgl. Kratochwil, 2017). Falls ein schwerwiegender Einwand vorliegt, besteht die Möglichkeit zu einer zweiten Meinungsrunde und erneutem Konsent (ebd.). Wenn es zu keiner Einigung kommt, wird der Beschluss vertagt (ebd.). Bei den Gesprächsrunden ist es wichtig, dass das gemeinsame Ziel und die damit verbundene Lösungsfindung stets im Fokus bleibt (vgl. Strauch 2022, S. 36ff.). Zudem sollte eine angenehme Arbeitsatmosphäre in der Organisation vorherrschen, um einen Konsent auch nicht geben zu können (ebd.). Für eine möglichst produktive Kommunikationsweise in den Arbeitskreisen empfiehlt sich eine Anzahl von fünf bis sieben Personen (ebd.).
Das Kreisprinzip
Soziokratische Organisationen sind nach dem „Kreisprinzip” in selbstautonomen Holonen aufgebaut (vgl. Schallhart 2016, S. 1ff.). Einerseits hat jeder Kreis eigene Rechte und andererseits gemeinsame Verantwortungen (ebd.). Die einzelnen Kreise sind in ihren Domänen zueinander abgegrenzt und auf die allgemeinen Ziele der Organisation abgestimmt (vgl. Rüther, 2018). Im Konsentprinzip beschließen sie ihre Agendasetzung für den übergeordneten Koordinationskreis (ebd.). Nach der SKM durchläuft jeder Arbeitskreis einen wiederkehrenden dreigliedrigen Prozess aus Leiten, Tun und Messen (vgl. Strauch 2022, S. 45fff.): In Policy Meetings werden die Kreisziele und Prozessplanung festgelegt und in der Arbeitspraxis umgesetzt. Operational Meetings werten die gesammelten Erfahrungen aus und beurteilen die gefassten Beschlüsse. Die entwickelten Messergebnisse dienen als Grundlage des nächsten Policy Meetings. In einem soziokratischen Arbeitskreis ergeben sich fünf unterschiedliche Rollen nach Strauch (2022):
- Die Kreisleitung ist für die Verwirklichung der Ziele verantwortlich und beurteilt, ob sie im Einklang mit der ganzen Organisation stehen
- Die Gesprächsleitung ist für die Moderation der Sitzungen zuständig und sorgt für eine konstruktive Diskussionskultur
- Die Delegierten tauschen Informationen zwischen den verschiedenen Kreisen aus und geben sie an ihren eigenen weiter
- Die Schriftführer dokumentieren die Ergebnisse der Sitzungen und stellen sich im Nachhinein für alle zur Verfügung
- Die Übrigen erbringen mit ihrer eigenen Expertise und Beteiligung einen wertvollen Beitrag zum Ganzen ein
Mit diesen fünf Rollen wird die konkrete Arbeit in Kreisen gleichmäßig verteilt und es können konstant geregelte Entscheidungsprozesse entstehen (vgl. Strauch 2022, S. 45ff.). Eine Verbindung der Ich-Identität mit der Gruppen-Identität, eine gewisse Kompromissbereitschaft der Führungsebene sowie die Schulung der spezifischen Rollen sind wichtige Voraussetzungen der SKM (ebd.).
Die Doppelte Kopplung
In der Arbeitspraxis soziokratischer Organisationen hat sich gezeigt, dass zur Herstellung einer zirkulären Feedbackschleife innerhalb einer Organisation mindestens zwei Personen benötigt sind (vgl. Strauch 2022, S. 49ff.). Das Ziel ist ein beidseitiger Informationsaustausch sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben (ebd.). In der Soziokratie wird dies in Form der „Doppelten Kopplung“ umgesetzt, denn die Delegierten und Kreisleitungen gehören jeweils dem übergeordneten Koordinationskreis an (vgl. Rüther, 2018). Daraus ergibt sich, dass keine Beschlüsse im Koordinationskreis beschlossen werden, die nicht im Einklang mit den betroffenen Arbeitskreisen stehen (ebd.). Zudem besteht die Möglichkeit einen vorangegangenen Beschluss bei keinem Konsent rückwirkend zu korrigieren (ebd.). Es gilt zu beachten, dass die Delegierten und die Kreisleitung keine Führungsebene ersetzen sollen, sondern nur eine Interessenvertretung für ihren spezifischen Arbeitskreis und die allgemeinen Ziele der Organisation darstellen (vgl. Strauch 2022, S. 52ff.).
Die Offene Wahl
Alle Rollen der Soziokratie werden in einer „Offenen Wahl“ nach festgelegten Kriterien und Beschreibungen gewählt (vgl. Reinhardt, 2020). Jedes Kreismitglied schreibt seinen Namen und den Namen der gewählten Person auf einen Zettel. In der ersten Meinungsrunde fragt die moderierende Person, alle Anwesenden nach der Begründung ihrer Wahl und alle anderen hören zu (vgl. Kratochwil, 2017). Mit diesem Prinzip entsteht eine wertschätzende Wahlkultur in soziokratischen Organisationen durch ausschließlich positive Argumentationen und gleichzeitig eine gegenseitige Inspiration durch andere Standpunkte (vgl. Strauch 2022, S. 54ff.). Im weiteren Verlauf einer Offenen Wahl wird die Erfahrung einer moderierenden Person entscheidend, um einen Konsent für eine Person zu erzielen (siehe 2.1 Das Konsentprinzip).

Fallbeispiel – Die Bürgerinitiative für den Klimaschutz
Bei einem, im Zusammenhang mit einer Bachelorarbeit entstandenen Interview, hatte eine der Autorinnen dieser Arbeit, einen ersten Berührungspunkt mit einer soziokratisch ausgerichteten Organisation. Es handelte sich um eine Bürgerinitiative für Klimaschutz, die verschiedene Arbeitskreise eingerichtet hat, um die unterschiedlichen Themen gut bearbeiten zu können.
Diese mir bis dahin unbekannte Art der Unternehmensführung wurde dann im Team vorbesprochen und von uns als geeignetes Praxisbeispiel in die Gruppenarbeit „Soziokratische Organisationen“ eingebracht. Eine soziokratisch orientierte Organisation aktiviert vor allem die Mitbestimmung, wobei es wie in Abschnitt 2.1 ausgeführt, nicht darum geht, Entscheidungen mehrheitsfähig zu machen. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen, die den wenigsten Widerstand auslösen.
Ein Zitat aus dem Interview mit dem Gründer der Bürgerinitiative, die sich als Gruppe von der Soziokratie inspirieren ließen und sich ein soziokratisches Leitbild gegeben haben:
„Da gibt es, Soziokratie, das ist also wie eine Gruppe Entscheidungen treffen kann und wie sie sich finden kann und so. […]Und dann haben wir vor allem gedacht, ja wir brauchen, weil es kann ja nicht sein, dass wenn wir einen Beschluss fassen, jeder der zufällig da ist, einfach mitstimmt. Sondern, dann haben wir uns einen Lenkungskreis gewählt.“ (Interview mit Gründer einer Bürgerinitiative, 2024)
Die Herausforderung in der Zusammenarbeit für die Aktiven in der Bürgerinitiative bestand darin, dass an sich zwar wenig Beschlüsse notwendig waren, da man sich einig war, dass viele Wege den Klimaschutz voranbringen können und jede und jeder dazu einen Beitrag leisten kann. Wenn aber, z. B. weil eine strategische Entscheidung oder die Klärung einer Budgetfrage anstand, Menschen, die nur selten dabei waren und aufgrund zu wenig Hintergrundinformationen in einer für die regelmäßig aktiven Akteure in eine ungünstige Richtung abstimmten oder gar blockiert wurden, war das für alle sehr ärgerlich.
Diesem Konfliktpotenzial wollte man schon im Vorfeld begegnen, in dem man der Initiative einen Lenkungskreis gab. Dieser Lenkungskreis wurde dann so aufgebaut und abgestimmt, dass jede und jeder der wollte, da natürlich mitmachen konnte. So war sichergestellt, dass die Menschen im Lenkungskreis immer alle Informationen hatten, die sie benötigten, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Einige Mitglieder entschieden sich bewusst gegen eine Mitgliedschaft im Lenkungskreis. Sie blieben aber innerhalb des eigenen Arbeitskreises aktiv. Der Lenkungskreis der Bürgerinitiative war dann mit elf Personen relativ groß, konnte ab dann aber anstehende Entscheidungen treffen, die auf einem gemeinsamen Kenntnisstand beruhten und der allen das Vertrauen gab, dass Beschlüsse nicht mehr Anlass für Konflikte gab, da die Beschlüsse soweit vorbesprochen waren, dass Einwände gegen die Entscheidungen keinen Stillstand zur Folge hatten.

Abb. 2: Beispielorganigramm soziokratische Organisation, Vernetzt Wohnen, Innsbruck
Beschreibung der Gruppenarbeit
Im Rahmen des Kurses „Handlungsressourcen komplexer Organisationen in der Kultur der Digitalität“ haben wir uns folgendes Szenario für die praktische Gruppenarbeit überlegt:
Der Arbeitskreis ‘Balkonkraftwerke’ der vorgestellten Bürgerinitiative für den Klimaschutz, möchte mehr Infoveranstaltungen durchführen und die Kommunikation sowie Zusammenarbeit mit dem Lenkungskreis verstärken. Dazu wählen sie eine neue Delegierte, bzw. einen neuen Delegierten, um das und andere wichtige Anliegen im Lenkungskreis gut vertreten zu können. Neben der fachlichen Perspektive zu Balkonkraftwerken, spielen weitere Kriterien eine wichtige Rolle bei der personellen Eignung für Delegierte nach Strauch (2022):
- Kommunikationsfähigkeit
- Moderationskompetenz
- Organisationsfähigkeit
- Entscheidungsfähigkeit
- Empathie
- Transparenz
Für die Gruppenarbeit teilten wir den Kurs in zwei gleich große Gruppen, mit jeweils sieben Mitgliedern. Die Autor*innen übernahmen die jeweilige Moderation und stellten den weiteren Ablauf vor:
- Vorbereitung: Lesen der Rollenbeschreibungen und Delegiertenkriterien, positive Argumente für die eigene Wahl überlegen
- Wahldurchführung: Alle schreiben ihren eigenen Namen und den Namen, der gewählten Person auf einen Zettel
- Erste Meinungsrunde: Moderator*in bittet jede Person ihre eigene Wahl anhand positiver Argumente zu begründen
- Zweite Meinungsrunde: Moderator*in erfragt Veränderungen der Meinungen durch Gehörtes und nach ungenannten Argumenten
- Konsent: Moderator*in stellt aufgrund der schlüssigsten Argumente eine Person zum Konsent (hier besteht die Möglichkeit zum Einwand)

Abb 3: Eigene Darstellung der Autor*innen
Zur Wahl standen vier selbst ausgedachte Rollen, die jeweils von vier freiwilligen Personen aus den beiden Gruppen nach dem Lesen der ausführlichen Rollenbeschreibungen übernommen worden sind und die wir hier kurz vorstellen möchten:
Dr. Anna Müller: Anna ist eines unserer ersten und geschätzten Mitglieder der Bürgerinitiative. Durch ihre Professur an der Hochschule München in Maschinenbau ist sie vor allem Ansprechpartnerin für alle technischen Fragen. Sie kennt sich aus mit verschiedenen Modellen von Balkonkraftwerken, deren Montage und Wartung. Anna ist es gewohnt effektiv im Kreis und mit externen Partner*innen zu kommunizieren. Sie kann verschiedene Diskussionsstandpunkte miteinander vereinen und trifft schnelle, fundierte Entscheidungen. Dabei berücksichtigt sie die Bedürfnisse aller Beteiligten und baut durch ihr transparentes Wissen Vertrauen auf.
Michael Schmidt: Herr Schmidt engagiert sich seit der Gründung des neuen Arbeitskreises Balkonkraftwerke in unserer Bürgerinitiative und konnte sich schnell mit allen vernetzen. Der Energieeffizienzberater berät Mieter*innen über die Vorteile von Balkonkraftwerken und erstellt dazu Informationsmaterialien. Er hat bereits erste Erfahrungen darin Workshops und Informationsveranstaltungen für Energieberatung zu organisieren. Michael kann klar und verständlich mit unterschiedlichen Interessensgruppen kommunizieren und trifft zeitnahe Entscheidung zur Unterstützung der Mieter*innen. Bei seinen Workshops ist er bekannt für Empathie sowie Teamfähigkeit und überzeugt seine Kunden durch eine kompetente Beratung.
Thomas Becker: Dem Visionär und Mit-Gründer sind die Werte, anhand derer die Bürgerinitiative sich orientiert, wichtig. Er behält die Ziele im Blick und achtet auch mit einem strategischen Blick auf die langfristige Entwicklung der Klimainitiative. Vereinnahmungen von Parteien hält er für kontraproduktiv und er achtet auf unbedingte politische Neutralität. Jede und jeder der mitarbeiten will, soll sich willkommen fühlen. Für Thomas ist unverzichtbar, dass die Bürgerinitiative keine wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Das hält er vor allem in Bezug auf die Außenwirkung, die Reputation und das Renommee der BI für essenziell. Er ist auch der Verantwortliche für den Newsletter-Versand. Somit hat er auch die End-Kontrolle über alles, was die Bürgerinitiative öffentlich nach außen gibt. Diese Haltung zeigt er auch in Diskussionen. Dabei ist er empathisch, teamfähig und berücksichtigt die Bedürfnisse aller Beteiligten. Ihm ist die soziokratische Ausrichtung, effizientes Arbeiten und Disziplin in den Treffen sehr wichtig. Von dem Erfolg und der Wirksamkeit der Gruppe und den getroffenen Teamentscheidungen ist es hundertprozentig überzeugt.
Sabine Weber: Sabine Weber ist erst vor kurzem zur Gruppe dazu gekommen und findet Klimaschutz sehr wichtig. Das Engagement für die Energiewende und die zukünftige sichere Energieversorgung von Mieter*innen gehört für sie zu dem Thema unbedingt dazu. Beruflich ist sie in einer Schnittstelle tätig und arbeitet für ein Bauunternehmen auch mit lokalen Behörden zusammen. Dadurch hat sie Erfahrungen in der kommunalen Struktur und kennt Gemeinderät*innen und Funktionsträger*innen. Neben ihren guten Kommunikationsfähigkeiten kennt sie sich mit der Beschaffung von Fördermitteln aus. Diskussionen moderiert sie sehr straff und treibt schnelle Entscheidungen voran. Sabine ist zwar ungeduldig, ihr ist aber sehr wichtig, dass die Prozesse transparent sind und die Beteiligten gut zusammenarbeiten.
Zudem bestand die Möglichkeit weitere Personen zur Wahl aufzustellen, was beide Gruppen nicht getan haben. In der Rolle der Moderation orientierten wir uns an einem selbst entwickelten Leitfaden auf Grundlage der recherchierten Literatur:
- Begrüßung aller Wahlteilnehmenden
- Wiederholung der zur Wahl gestellten Personen:
- Dr. Anna Müller
- Michael Schmidt
- Sabine Weber
- Thomas Becker
- Werden weitere Personen aufgestellt und wenn ja, wieso?
- Wahldurchführung: Jeder soll auf einen Zettel seinen eigenen Namen und den der gewählten Person schreiben
- Abfrage der positiven Argumente für die Wahlentscheidung: Mitnotieren/Merken der genannten Argumente
- Jedes Kreismitglied fragen, ob sich die eigene Meinung durch das Gehörte verändert hat und abschließend nach noch nicht genannten Argumenten fragen
- Die Person zum Konsent stellen nach den schlüssigsten Argumentationen, Frage in die Runde nach schwerwiegenden Einwänden
- Wenn nein, Person gewählt
- Wenn ja, Einwände begrenzen durch z. B. eine begrenzte Zeitdauer oder eine weitere Person zum Konsent stellen
- Wenn wieder kein Konsent Vertagung der Wahl
- Zuletzt nach Konsent der gewählten Person fragen
Reflexion der Gruppenarbeit
Nach den einleitenden Erläuterungen, Abstimmungen der einzelnen Aufgaben und der Verteilung der vier Rollen, haben wir in den zwei gebildeten Gruppen mit der Wahl begonnen. Da sich niemand zusätzlich für diese Wahl gemeldet hat, konnten wir direkt in die erste Phase gehen. Den Punkt drei haben wir auf den zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen angepasst und uns innerhalb der beiden Gruppen darauf verständigt, die Wahl mündlich durchzuführen. Reihum gaben die Teilnehmer*innen ihre positiven Argumente für ihre Wahlentscheidung bekannt. Die Moderation hat die jeweiligen Argumente zusammengefasst und letzte Fragen zum Prozedere geklärt.
In der ersten Gruppe erhielt trotz einer einzelnen Umentscheidung nach den gehörten Argumenten, Dr. Anna Müller die meisten Stimmen aufgrund ihrer wertschätzenden und vertrauensvollen Art. In der folgenden Einwandrunde gab es keine weiteren Argumente oder schwerwiegende Einwände gegen sie. Damit wurde Dr. Anna Müller im Konsent durch die moderierende Person vorgeschlagen und nahm ihre Wahl zur Kreisdelegierten an. In der zweiten Gruppe kam es in der ersten Meinungsrunde für Michael Schmidt zu keinem Konsent. Sabine Weber brachte als schwerwiegenden Einwand vor, dass er, wie sie, zu kurz in der Klimainitiative aktiv mitarbeitet, um alle Arbeitsprozesse ausreichend zu kennen. Aufgrund der technischen Expertise und ihrer Erfahrung in der Klimainitiative wurde in der zweiten Meinungsrunde, wie in der ersten Gruppe, Dr. Anna Müller zum Konsent durch die moderierende Person gestellt. Es gab keine schwerwiegenden Einwände gegen sie und sie nahm ihre Wahl an.
In der nachfolgenden gemeinsamen Feedbackrunde im Plenum des Kurses gab es die Rückmeldung, dass es über die rein mündliche Abstimmung zu einer Beeinflussung durch die Reihenfolge gekommen ist. So konnte sich relativ schnell eine favorisierte Person für die Deligiertenrolle herauskristallisieren und noch nicht abgefragte Personen spontan umentscheiden, um sich der Mehrheit zu fügen. Mit der schriftlichen Form der Wahl lässt sich dies kontrolliert vermeiden, weil die individuell begründete Wahl jeder Einzelperson dokumentiert wird und so die Reihenfolge keinen Einfluss mehr auf die Wahl nimmt. Gleichzeitig ist die Beeinflussung der eigenen Wahl durch andere Argumente ein wesentliches Element der offenen Wahl in der Soziokratie, solange eben keine Person sich einem vermeintlichen Mehrheitswillen beugt.
Der Umbau hin zu einer soziokratischen Organisation
In dieser Gruppenübung hat sich auch für uns herauskristallisiert, dass die Veränderung hin zu einer soziokratischen und selbststeuernden Organisation einige Herausforderungen mit sich bringt. Es braucht das Bewusstsein eines jeden und jeder Einzelnen für eigene Verantwortlichkeiten sowie Aufgaben einzustehen und diese selbstständig zu bewältigen sowie zu kontrollieren. Sich mit dieser neuen Art der Organisationssteuerung und den dazugehörigen Koordinationsmechanismen vertraut zu machen ist unverzichtbar, ebenso wie das Ablegen veralteter hierarchische Führungssysteme im ganzheitlichen Entwicklungsprozess. Letzteres ist entscheidend, um mit Hilfe der Kompromissbereitschaft auf Führungsebene eine Entwicklung zur soziokratischen Organisation beginnen zu können. Die verschiedenen Rollen in einem Arbeitskreis müssen zunächst verinnerlicht werden und stetig reflektiert werden. Für den Umbau empfiehlt es sich Unterstützung von Expert*innen hinzuzuziehen.
Macht, die statt in hierarchischen Strukturen von oben nach unten ausgeübt wird, wird in soziokratischen Organisationen, durch gemeinschaftliche Entscheidungsfindungen ersetzt. Die Verantwortung für Entscheidungen wird allen der Organisation angehörenden Mitgliedern, bzw. Mitarbeitenden übertragen. Um die selbstautonome Steuerung in Kreisen (Arbeitskreise) zu ermöglichen, geht es also auch darum, Gleichwertigkeit zwischen allen Mitarbeiter*innen zu schaffen und eine geteilte Werte- und Haltungskultur zu etablieren. Diese spezifischen Kommunikationsformen machen die Koordinierung in einem übergeordneten (Lenkungs-)Kreis transparent und verteilen Verantwortung auf alle. Dadurch entsteht eine andere Art des sozialen Umgangs innerhalb eines Teams, der zunächst eingeübt werden muss. Dieser Prozess braucht seine Zeit und die Geduld aller Beteiligten. Denn gleichberechtigte Entscheidungen auf Augenhöhe bedeuten vor allem Respekt vor der Ansicht der anderen und eine Einigkeit bei der gemeinsamen Zielsetzung in einer Organisation.
Die Erstellung des Leistungsnachweises und die Lehrveranstaltung – eine gemeinsame Reflexion
Unsere Bachelorstudiengänge starteten während Corona und das bedeutete, dass Lehrveranstaltungen und Zusammenarbeit online organisiert und angeboten waren. Der Vorteil an einem online-basiertem Lernangebot ist, dass Studium, Arbeit, digitale Gruppentreffen, usw. gut vereinbar sind, da eine lange Anreise mit Zug und Bahn für uns entfiel. Ein geringerer Organisations- und Zeitaufwand für Mobilität bedeutet weniger Stress den Tagesablauf zu koordinieren. Dem steht eine deutlich höhere Eigenmotivation, die es aufzubringen gilt, gegenüber. Zudem fehlt der aufmunternde, bilaterale Austausch mit Kommiliton*innen in der Mensa, dem Café, in den Pausen der Lehrveranstaltungen oder auch beim gemeinsamen Weg zur Universität. Immer wieder konnten wir unabhängig voneinander feststellen, dass trotz guter digitaler Kenntnisse wichtige Informationen zur Art und Umfang der Aufgaben fehlten. Details zu Arbeitsaufträgen oder Gruppenarbeiten finden auf dem „kleinen Dienstweg“ eine Art der Verbreitung, mit der keine Whats-App-Gruppe mithalten kann.
Wir Studierenden sind zudem sehr gefordert, die verschiedenen und unterschiedlich funktionellen Plattformen wie Nine, Primuss, Bib, LRZ und Moodle etc. mit all den Untergliederungen der jeweiligen Professor*innen und ihren individuell gestalteten Lernoberflächen, zu händeln. Die vielen verschiedenen Informationskanäle, Foren und Emails, die für alle Vorlesungen und Lehrveranstaltungen im Blick zu behalten sind, stellen, auch in der Vorbereitung der Leistungsnachweise eine große Herausforderung dar.
Jetzt nach Corona geht es hier in diesem Masterstudiengang nun also auch darum, einen Weg zu finden, der zum Lehren und Lernen das Beste aus beiden Welten vereinbart. Die Lehrveranstaltung „Handlungsressourcen komplexer Organisationen in der Kultur der Digitalität“ hat dafür mit einem Blended-Learning-Ansatz einen Raum für verschiedene Angebote geschaffen. Aufgaben für uns Studierende wurden strukturiert digital und analog gestellt, und waren durch uns zu bearbeiten. Über das Forum und dem daraus entstehenden Mail-Austausch konnten wir uns den verschiedenen Bereichen des Lehrinhaltes annähern und die Themen vertiefen. In den analogen Sitzungen haben wir verschiedene Übungen gemacht, unsere Gruppenaufgaben präsentiert und unsere jeweiligen Themenbereiche bearbeitet.
Für die Erarbeitung unsers Leistungsnachweises war unsere Gruppengröße von zwei Personen zwar sehr klein, aber auch effektiv. Wir konnten uns relativ leicht und auch kurzfristig abstimmen und unsere Ressourcen gut nutzen. Unser Thema Soziokratie war uns beiden so wichtig, dass wir uns gegen eine Veränderung der Gruppenzusammensetzung und dafür gern für das höhere Arbeitsvolumen entschieden haben. Statt mit fünf oder mehr Gruppenmitgliedern teilten wir uns als Zweier-Team Recherche, Präsentation, Groß-Gruppenmoderation und den daraus resultierenden Beitrag für diese Website effektiv auf.
Jetzt, nach Fertigstellung der Aufgaben, sind wir, trotz großen Arbeitsaufwands in der Vorbereitungsphase, sehr zufrieden und freuen uns, dass wir gemeinsam einen wertvollen und gut präsentierten Beitrag zur Lehrveranstaltung beisteuern konnten. Das war vor allem möglich, weil wir als Team auch Spaß an der Zusammenarbeit, einen guten und respektvollen Austausch, sowohl digital in mehreren Zoom-Meetings wie auch analog in den Räumen der Hochschule, miteinander hatten. Kleinere Fragestellungen und Aufgaben stimmten wir ergänzend in unserer WhatsApp-Gruppe oder in den gemeinsamen Dokumenten ab. Bei z.B. zeitlichen Engpässen oder fachlichen Fragen haben wir uns stets gegenseitig unterstützt. Damit waren wir ein zwar kleiner, aber sehr effektiver Arbeitskreis, der einen wichtigen Aspekt der Handlungsressourcen von komplexen Organisationen strukturiert aufbereitet und dafür das digitale Angebot optimal genutzt hat.
Organisatorisches
Literatur bzw. Medien
- Brüning, Reinhart (2020): WDR-Quarks. Nach Konsens wählen: Das bessere Wahlsystem? https://m.youtube.com/watch?v=3oUPtPMDbf8 (zuletzt aufgerufen am 29.12.2024).
- Kratochwil, Werner (2017): Der Soziokrat. Gemeinsam effizient zum Ziel https://dersoziokrat.at/soziokratie-prinzip-offene-wahl/https://dersoziokrat.at/soziokratie-prinzip-offene-wahl/ (zuletzt aufgerufen am 05.01.2025)
- Rüther, Christian (2018): Einführung in die vier Grundprinzipien der Soziokratie, https://m.youtube.com/watch?v=WOnA0kgXRlc (zuletzt aufgerufen am 29.12.2024).
- Schallhart, Annemarie (2016): Die Soziokratische Kreisorganisations Methode (SKM) integral betrachten. Integrale Perspektiven, Ausgabe 14.
- Sociocracy For All (2019): Was ist Soziokratie? https://m.youtube.com/watch?v=u3JJotOJ7kI (zuletzt aufgerufen am 29.12.2024).
- Strauch, Barbara (2022): Organisationsstrukturen zur Stärkung von Beteiligung und
- Mitverantwortung des Einzelnen in Unternehmen, Politik und Gesellschaft. Verlag Franz Vahlen, München.
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