Interview mit einer Changemanagerin

Interview mit einer Changemanagerin

Lesezeit (inkl. Mediennachweis): 4 Minuten

Agilität in der Praxis: Blinde Flecken, Begrifflichkeiten und Tipps

Das erwartet euch in diesem Beitrag:

Um einen genaueren Einblick in den Alltag der Agilität zu gewinnen interviewten wir im Rahmen der Blogreihe Agilität die studierte Changemanagerin Anna-Kristina Ziemer. Ihre Arbeitswelt ist geprägt von Veränderungsprozessen, Agilität und Kund*innen. 

Die Blogreihe entstand aus dem Studiengang Gesellschaftlichen Wandel und Teilhabe der Hochschule München. Im Rahmen des Moduls „Organisationen und ihre Handlungsressourcen“ wurde von unserer Gruppe das Thema „Agile Unternehmen“ genauer beleuchtet. Das Interview mit der Expertin fokussiert hierbei softe Skills, die für das erfolgreiche agile Arbeiten gegeben sein sollten. Durch dieses Interview soll ein Einblick in den Alltag von agilen Unternehmen und die, die es werden wollen, gegeben werden. 

Anna, erzähl uns doch einmal kurz, was du unter dem Begriff Agilität so siehst?

Anna: Für mich bedeutet Agilität auf den Unternehmenskontext bezogen am Ende die Fähigkeit sich zu verändern. Ich lasse bewusst hier das „schnell“ weg. Darauf kommt es für mich nicht an. Es ist das flexible und dynamische Marktgeschehen, das Agilität fordert. Für Unternehmen sollte es nicht die schnelle Lösung, sondern die perfekt angepasste bedeuten. Man muss nicht immer am schnellsten „das Produkt“ oder „die Lösung“ bringen. Es muss überlegt und getüftelt werden. Da ist schnell sein nicht immer der beste Weg. Wichtig für mich ist der Bezug zu den Kundenbedürfnissen. Verändern die sich, dann muss auch das Unternehmen seine Leistung anpassen können. 

Agilität in Bezug auf die personelle Struktur bedeutet für mich, dass Entscheidungen dort getroffen werden, wo Kompetenzen vorhanden sind. So kann die Entscheidung auch richtig getroffen werden. In traditionellen Unternehmen werden klassisch Entscheidungen dort getroffen, wo Macht ist. Das ist im agilen Kontext anders anzusehen: Wer das Wissen hat, der kann dort hilfreich entscheiden. 

Viele Führungskräfte und Geschäftsführer*innen schmeißen mit Begriffen um sich. Was hältst du davon und was würdest du genau diesen Personen empfehlen?

Anna: Ich glaube, dass das vor allem daran liegt, weil es sich bei Agilität um einen absoluten Trendbegriff handelt. Kein Unternehmen kommt dem Thema aus und deshalb denkt auch jeder, dass er dazu was parat haben muss. Potenzielle Angestellte und Mitarbeiter*innen fordern Unternehmen ja auch dazu auf, sich diesem Trend anzupassen. Oftmals wird das nur leider falsch verstanden und gehandhabt.

Man ist kein agiles Unternehmen, nur weil man irgendwo im Büro einen Kicker aufstellt. Führungskräfte erkennen häufig einfach nicht, was sie beachten müssen. Für mich immer wieder wichtig ist die Rolle der Führungskraft. Im klassischen Unternehmen beginnt man zu arbeiten, bleibt eine Zeit lang auf einer Position und steigt irgendwann auf. Aufstieg ist dann in der Regel mit Führungsverantwortung und somit mit mehr Geld gekoppelt. Im agilen Kontext braucht man jedoch einen neuen Blickwinkel auf das Ganze.

Wenn Derjenige, der die Entscheidung trifft, der mit der meisten Kompetenz im Bereich der Frage ist, dann muss das nicht zwingend die Führungskraft sein. Die Führungskraft muss bewusst ihre Rolle hinterfragen. Wichtig ist für sie: Was will das Team? Kann ich das bieten? Wo muss ich mich reflektieren? Wie kann ich meine Mitarbeiter*innen fördern, damit das Unternehmen am Markt bestehen bleibt? Stichwort – das hier nicht vergessen werden darf – ist die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens. Es muss ein neues Verständnis von Führung her und das kommt nicht von alleine.

Ich empfehle immer die Diskussion mit anderen Führungskräften und Unternehmen zu suchen. Gut ist es auch, immer mit Leuten zu sprechen, deren Unternehmen vielleicht schon fortgeschrittener in der Transformation sind. Es gibt nicht den einen idealen Weg, um Unternehmen in die agile Richtung zu bewegen. Je nach Wettbewerbern, Unternehmensumfeld, Angestellten und so weiter variiert das natürlich.

Hier hilft nur Austausch und Reflektieren in meinen Augen. Neue Werte müssen gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden. Jahrelang wurde Aufstieg mit Karriere machen gleichgesetzt. Doch im agilen Bereich geht es nicht mehr darum, nach fünf Jahren Angestellte unter sich zu haben. Karriere wird neu definiert und genau hier muss man sich bereits Gedanken über zukünftige Gehaltsstrukturen machen. 

Wie sieht der Alltag eines agilen Teams aus?

Anna: Der Alltag gestaltet sich natürlich für jedes Team anders. Je nachdem mit welchen Methoden gearbeitet wird, kommen hier unterschiedliche Tagesabläufe zu Stande. 

Was sich eigentlich in jeder Arbeitsweise widerspiegelt, sind regelmäßige Absprachen. Ein Team arbeitet an einem Thema oder Produkt und trifft sich – beispielsweise bei Scrum jeden Tag am Morgen – um zu besprechen, was Gestern getan wurde und Heute so ansteht. Das soll Strukturen schaffen und verdeutlichen, was denn Heute wichtig ist. Die Dailys sind ein ganz klassisches Ritual, das zum effizienten Arbeiten beiträgt. Es gibt Menschen, die planen ihren Tag einmal komplett so durch. Da wird eine Stunde an einem Thema gearbeitet und im Anschluss dies direkt reflektiert. Wie gesagt, das handhabt jedes Team anders. Das ist auch gut so. Die Arbeitsweise ist eine sehr individuelle Entscheidung.

Kennst du Unternehmen die durchgängig, also wirklich von der Spitze bis zum*zur Praktikant*in, agil arbeiten?

Anna: Ich kenne ganz konkret ein Unternehmen – den Namen darf ich nicht sagen – das sich die Holokratie zum Ziel gesetzt hat. Aktuell wird viel mit Scrum und Sprints gearbeitet. Das Management soll reduziert und im Idealfall sogar komplett abgebaut werden. Das wird allerdings noch ein wenig Zeit brauchen. Wenn das durch ist, wird man davon bestimmt noch einmal was hören.

Ansonsten fällt mir beispielsweise Dark Horse ein. Dort sind Gründer*innen und Angestellte komplett gleichgestellt. Auch die Gehaltsstrukturen werden im Team geregelt und können angepasst werden. In den Niederlanden experimentiert ein Service der Altenpflege schon lange. Dort ist die Erstellung der Dienstpläne, die Dauer der Aufenthalte und die Pflege komplett den Pfleger*innen überlassen. Wie und ob so was bei uns in Deutschland möglich wäre, ist dann natürlich eine rechtliche Frage.

Was stellt die größte Herausforderung/Ängste für deine Kund*innen dar?

Anna: Ja, da sind wir wieder im deutschen Recht. Hier muss man als Angestellte*r einen disziplinarischen Vorgesetzten haben. Das ist schon einmal nicht ganz so einfach.

Ansonsten sehe ich den Change selbst als die größte Herausforderung. Der Prozess beinhaltet alles. Rollen definieren, Mitarbeiter*innen abholen, neue Werte verankern und so weiter. Damit das dann auch alles gelebt wird, muss jeder verstehen, warum das sinnvoll ist. Wenn die Kund*innen das selber nicht wissen, wird es schwierig, das den Angestellten zu erklären.

Gibt es in deinen Augen Typen, die Veränderungen Richtung Agilität besser oder weniger gut akzeptieren?

Anna: Die gibt es auf jeden Fall! Es gibt wahnsinnig viele unterschiedliche Persönlichkeitsmodelle und Change-Typen. Gerade in Unternehmen mit einer jüngeren und softwaregetriebenen Belegschaft merkt man oft, dass die Bereitschaft agil zu arbeiten da ist. In klassisch hierarchischen Unternehmen, in denen Macht und Entscheidungen eng zusammenhängen, ist die Abwehr natürlich größer.


Unsere Expertin weist bewusst darauf hin, dass agile Strukturen immer sehr individuell angepasst werden müssen. Aber das A & O bildet einfach die Kommunikation. Das muss nicht nur für Führungskräfte wichtig sein, denn ein Unternehmen wird erst richtig agil, wenn jede*r der Angestellten verstanden hat, warum er*sie denn jetzt auf einmal transparent arbeiten soll.

Damit man weiß, was auf einen zukommt, ist es natürlich nie schlecht, mit allem zu rechnen. Hier darf natürlich keine Ebene vergessen werden. Die unterschiedlichen Ebenen und Dimensionen von Agilität findet ihr in diesem Blogbeitrag.

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