Agilität und wie es sich damit lebt

Agilität und wie es sich damit lebt

Lesezeit (inkl. Mediennachweis): 7 Minuten

Titelbild: „Teamwork“ von Mohamed Hassan auf Pixabay (2018)

Turbulente Zeiten und wie mit den neuen Herausforderungen in der Praxis umgegangen wird

„Wir müssen agil sein!“ Genau das hören Angestellte und Führungskräfte immer und immer wieder von der Geschäftsführung. Schnell und flexibel, innovativ und kompetent sein. Dem*der Kund*in jeder Zeit das beste Angebot, das neueste Produkt und die perfekte Lösung bieten können. So wollen Organisationen ihre Zukunft sichern. Klingt super und nach einem guten Plan. Nur der Weg dorthin besteht nicht nur aus solchen Phrasen und das Drängen der Geschäftsführung verunsichert Angestellte, wie auch Führungskräfte gleichermaßen.

In dieser Blogreihe über Agilität widmen wir uns verschiedenen Themen: den Anfang macht diese Übersicht mit einer Erklärung der wichtigsten Begriffe und einem Buzzword-Bingo. Des Weiteren findet ihr ein Interview mit der Change-Expertin Anna-Kristina Ziemer. Sie versucht, euch ihr Verständnis rund um das Thema Agilität einfach, schnell und praxisorientiert zu erklären. Vertieftes Wissen über die unterschiedlichen Dimensionen der agilen Transformation findet ihr im Beitrag über das TRAFO-Modell. Wenn ihr wissen wollt, wer wir sind und wie es zu diesem Blog gekommen ist, könnt ihr das hier nachlesen. Einen Beitrag zu unserer Zusammenarbeit findet ihr unter Reflexion.

Buzzword-Bingo

Zum Einstieg jetzt aber erstmal ein Buzzword-Bingo: Digitalisierung, SCRUM, VUKA & Co – Was verbirgt sich hinter all diesen Begriffen?

Zuallererst: Keine Sorge! Niemand steigt direkt auf Anhieb dahinter. Dass wir durch eine sehr vernetzte und digitalisierte Welt neue Gegebenheiten haben, sollte dennoch inzwischen jedem bekannt sein. Das Wichtigste vorweg: die Begriffe in einen Topf zu werfen bringt nichts. Hier kann man Unterscheidungen treffen zwischen Methoden, Arbeitsweisen, Ritualen, Abkürzungen und so weiter und so weiter… Wir fassen für euch die TOP 4 der am häufigsten genannten Begriffe kurz und bündig zusammen!

TOP 1: Digitalisierung

Ausgangspunkt für Agilisierung von Unternehmen stellt die Digitalisierung dar. Digitalisierung versteht sich jedoch nicht nur als digitales Abbilden von Daten, Systemen oder Marktleistung. Vielmehr stellen Faktoren der Individualisierung, der Zunahme an Geschwindigkeit, eine immer weiter anwachsende Dezentralisierung und die Auflösung von Branchen- und Unternehmensgrenzen Einfluss auf Unternehmen und deren Umwelt, in der sie sich bewegen, dar (vgl. Stöger 2019, S. 39f.). Das Wirtschaftslexikon von Gabler definiert den Begriff Digitalisierung als „digitale Revolution“ oder „digitale Wende“ (vgl. Gabler 2017). Der Wandel von technologischen Entwicklungen betrifft viele Bereiche des unternehmerischen, wie auch des privaten Lebens. Kommunikation, Beschaffung von Informationen und der Konsum unterliegen neuen Rahmenbedingungen, die es zu kennen und verstehen gilt (vgl. Bundesministerium 2017).

TOP 2: VUKA-Welt

VU-WHAT?! Die Mischung aus Akronym und Wortneuschöpfung beinhaltet folgende vier charakteristische Eigenschaften, die unsere (Um-)Welt in Zeiten der Unbeständigkeit und des Wandels beschreibt (vgl. Bennett und Lemoine 2014, S. 2-6):

  • Volatility (dt. Volatilität): Durch eine immer schneller werdende Umwelt sind stabile und dauerhafte Erlebnisse nicht mehr beständig. Schnelllebigkeit ist hier das Stichwort.
  • Uncertainty (dt. Unsicherheit): Folgen und Konsequenzen getroffener Entscheidungen sind unter gegebenen Umständen unvorhersehbar.
  • Complexitiy (dt. Komplexität): Die Globalisierung lässt neue und unbekannte Einflussfaktoren in unsere Umwelt. Probleme sind in ihrer Komplexität nicht mehr zu greifen und somit weniger überschaubar.
  • Ambiguity (dt. Ambiguität): Es existiert keine sichere Grundlage mehr, auf der Entscheidungen getroffen werden können, da Signale der Umwelt immer mehrdeutiger werden.

Wir folgern daraus: Mehr Unsicherheit, mehr Komplexität und mehr Unbeständigkeit führen zu einer komplizierten, verzwickten und kaum entschlüsselbaren Entscheidungsfindung in Organisationen.

TOP 3: Agilität

Agilität ist wie folgt zu verstehen: „Agilität ist die Fähigkeit einer Organisation, flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Initiative in Zeiten des Wandels und Unsicherheit zu agieren.“ (Onpulson o.J., S.1). Wie in dieser Definition deutlich wird, ist nicht nur Flexibilität von Bedeutung, sondern auch die aktive Teilhabe an Gestaltungsprozessen. Unternehmen sind gefordert, Anpassungen voranzutreiben und möglichst schnell auf Veränderungen (beispielsweise Marktbedürfnisse) zu reagieren um nicht nur reaktiv flexibel zu handeln, sondern proaktiv (mit-)gestaltend (vgl. Hofert 2017, S. 2).  

TOP 4: Scrum

Seinen Ursprung findet Scrum als einen Ansatz für die Entwicklung von Software. Oftmals falsch verstanden soll diese Arbeitsweise nicht dabei helfen schneller zu werden, sondern sich flexibler an Marktentwicklungen oder Kund*innenbedürfnisse anzupassen. Neue Erkenntnisse sollen schnell eingearbeitet werden und durch eine kleinteilige und iterative Arbeitsweise soll die Qualität eines Produktes optimiert werden (vgl. Wolf, van Solingen et al. 2014, S. 8f.). Scrum bietet einen Rahmen zur Zusammenarbeit innerhalb eines Teams unter Einbezug der Kund*innen. Im Idealfall kann dadurch auch die Entwicklung beschleunigt werden. Wichtiger jedoch ist die Flexibilität im Umgang mit den Bedürfnissen des*der Kund*in.

Nice to know: Der Begriff „Scrum“ stammt aus dem Rugby. Zu Beginn jedes Spielabschnitts werden vor einem Angriff die Köpfe zusammengesteckt. Genau das will die Scrum-Methode verdeutlichen: Die permanente Kommunikation und Absprache untereinander.

Agilität

Abbildung 2: „Besprechung“ von Christine Schmidt auf Pixabay (2015)

Im folgenden Abschnitt möchten wir uns näher mit „Agilität“ auseinandersetzen und die Fragen beantworten: Was genau steckt dahinter? Wo setzt Agilität an? Welche Veränderungen bringt der Umstieg auf eine agile Organisation mit sich? Wo soll man überhaupt anfangen und wie sieht das in der Praxis aus?

Wenn man das Wort „agil“ im Duden nachschlägt, bekommt man folgende Begriffe zur Erklärung: von großer Beweglichkeit zeugend, regsam und wendig (vgl. Dudenredaktion o.J.). Im organisationalen Kontext findet man die unterschiedlichsten Interpretationen des Begriffs. Unter anderem wird Agilität gleichgesetzt mit Methoden, wie beispielsweise Scrum (siehe Top 4 Buzzword-Bingo). Aber eine Methode allein macht eine Organisation nicht agil. Agilität ist keine Sammlung von Methoden, sondern eine neue Denkweise: es beschreibt einen Wandlungsprozess, hin zu einer agilen Denk- und Handlungsweise.

Das wichtigste Merkmal von Agilität ist, dass es auf Werten und Prinzipien beruht, die auf das agile Manifest zurückgehen. Es gibt dabei vier Leitsätze, die das agile Arbeiten beschreiben:

Abbildung 3: Das agile Manifest (Darstellung in Anlehnung an Beck und Sutherland et al. 2001)

Agiles Arbeiten bedeutet also, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Die wohl größte Veränderung ist die Verlagerung und Verteilung der Verantwortung weg vom Management hinein in Arbeitsteams (vgl. Nowotny 2016). Dadurch soll es wieder zu mehr Flexibilität kommen und das Team gestaltet seine Arbeit eigenverantwortlich und selbstorganisiert. Dabei sind der Austausch im Team und konstruktive Gespräche elementar. Es wird betont, dass der Arbeitsprozess aufgeschlossen und somit anpassungsfähig bleiben soll. Das Leitbild einer agilen Organisation ist folglich gezeichnet von einer „ausgeprägten Kundenorientierung, beschleunigten Innovationszyklen und neuen Formen kollaborativer Arbeit“ (Gül und Gül 2020, S. 104).

Partizipation hat in agilen Unternehmen einen immens hohen Stellenwert:

„Partizipation geht auf das lateinische Wort ‚particeps‘ (= ‚teilnehmen‘) zurück und steht für ‚Beteiligung‘, ‚Teilhabe‘, ‚Mitwirkung‘ und ‚Einbeziehung‘.“

(Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung o. J.).

Mitarbeiter*innen agiler Unternehmen werden durch die dort herrschende Offenheit befähigt, aktiv an Entscheidungsprozessen zu partizipieren sowie ihre eigenen Ideen mit einzubringen (vgl. Jorré 2019).

Die komplexe VUKA-Welt (siehe TOP 2 Buzzword-Bingo) hat zur Folge, dass Führungskräfte nicht mehr in der Lage sind alleine stets die richtigen Entscheidungen zu treffen. In agilen Unternehmen wandelt sich die Rolle der Führungskraft zum*zur Coach*in und Begleiter*in der Mitarbeiter*innen. Ihre Aufgabe besteht dabei nicht mehr darin Lösungen anzubieten, sondern entsprechende Rahmenbedingungen zu etablieren, in denen die Mitarbeiter*innen die richtigen Entscheidungen eigenständig treffen können (vgl. ebd.) (siehe dazu auch Dimension 4 TRAFO-Modell).

Partizipation kann laut Drittner (o. J.) als Erfolgsschlüssel in Change-Projekten angesehen werden.

Es gibt sowohl interne als auch externe Treiber, die eine Organisation zu mehr Agilität bewegen. Durch die technologischen Fortschritte (siehe Top1 Digitalisierung Buzzword-Bingo) steigt die Dynamik und Komplexität sowie die Wettbewerbsintensität. Intern lässt sich in Organisationen immer häufiger ein Wertewandel mit dem Wunsch nach mehr Eigenverantwortung feststellen. Agilität kann da Abhilfe schaffen, aber eine agile Transformation ist ein langsamer Entwicklungsprozess. Nichts, was man erzwingen sollte oder kann. Agilität kann nicht einfach „von oben“ angeordnet werden – alle müssen an einem Strang ziehen.

Der Startpunkt für agiles Arbeiten kann entweder ein „Pilot“ sein, eine Abteilung oder ein Bereich, der neue Wege geht; oder aber der Einstieg erfolgt über angeleitete Workshops rund um die Themen agile Methodenwelten (vgl. Nowotny 2016). Es kann auch über ein Change-Event eingeleitet werden.

„‘Wir werden agil‘ und das, was ‚agil‘ in dem Zusammenhang überhaupt bedeutet, ergibt sich dann als Lösungsmöglichkeit, wie mit diesem Rahmen umgegangen werden kann. Diese Lösungsmöglichkeit zu entwickeln erfordert Kommunikation“

(Korn o.J., S. 34).

Grundvoraussetzung für eine agile Transformation ist die aktive Beteiligung aller Personen und erste Schritte sind dabei die Vorbereitung und Involvierung der Beteiligten.

Als größte Herausforderung stellt sich die Annahme der Veränderung dar. Führungskräfte müssen Status und Kontrolle loslassen. Mitarbeiter*innen müssen Eigenverantwortung übernehmen. Eine Hürde in klassischen Organisationen sind starre interne Prozesse und Abläufe. Widerstand seitens der Mitarbeiter*innen und die fehlende Bereitschaft neue Strukturen zu akzeptieren können zur Ablehnung führen. Was letztendlich unabdingbar benötigt wird, ist ein agiles Mindset:

„Agilität lebt vor allem vom Engagement und Überzeugung“

(Lindner 2016).

Und was genau gewinnt eine Organisation, die sich auf eine agile Transformation einlässt? Die versprochenen Vorteile von Agilität und einer agilen Denk- und Handlungsweise zeichnen sich aus durch flache Hierarchien, mehr Raum für Kreativität und einer steigenden Produktivität (vgl. Hofert 2017). In den Arbeitsteams, die auf offener Kommunikation und einer Lernkultur basieren, wird eigenverantwortlich gehandelt. Flexibilität und schnelle Anpassungsfähigkeit werden in der durch Globalisierung und Digitalisierung geprägten Wirtschaftswelt immer wichtiger – die agile Gestaltung einer Organisation kann ein erster Schritt im Umgang mit der komplexen und dynamischen (Um-)Welt sein.

Fazit

Agilität bedeutet nicht einfach ein bisschen Wandel, sondern beschreibt den Mut umzudenken. Alle Beteiligten müssen mitmachen, sich als Team begreifen und dem agilen Lernprozess offen gegenübertreten. Im Zentrum stehen das agile Mindset und die agilen Werte. Sie können nicht angeordnet werden, sondern müssen langsam erlernt werden. Das erfordert Geduld, denn eine Organisation lässt sich nicht von heute auf morgen agil transformieren.

Weiter geht es in der Blogreihe AGILITÄT mit dem Interview mit der Change-Expertin Anna-Kristina Ziemer. Oder ihr erhaltet vertiefendes Wissen über die unterschiedlichen Dimensionen der agilen Transformation im Beitrag über das TRAFO-Modell. Wenn ihr wissen wollt, wer wir sind und wie es zu diesem Blog gekommen ist, könnt ihr das hier nachlesen. Einen Beitrag zu unserer Zusammenarbeit findet ihr unter Reflexion.

Bildquellen

Literaturverzeichnis

  • Gül, Nesrin/Gül, Katrin/Knapp, Daniel/Mattes Ralf (2020) Empowerment in der agilen Arbeitswelt. In: Daum M., Wedel M., Zinke-Wehlmann C., Ulbrich H. (Hrsg.) Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit. Berlin, Heidelberg: Springer Vieweg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61560-7_7
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