Mäeutische Reflexionen: Bildung in einer Kultur der Digitalität

Mäeutische Reflexionen: Bildung in einer Kultur der Digitalität

Lesezeit (inkl. Mediennachweis): 16 Minuten

Dieser Blogbeitrag ist von den Studierenden Angela Nieting, Laura Pauli und Andreas Weese im Rahmen des Masterstudiengangs „Gesellschaftlicher Wandel und Teilhabe“ (Master GWT) als Ergebnis des Seminars „Bildung in einer Kultur der Digitalität“ an der Hochschule München entstanden.

Er umfasst zwei Teile – diesen sowie die Reflexionen von Alexander Klier darauf hier. Beide Beiträge sind an den entsprechenden Stellen miteinander verlinkt. Insofern gehören auch inhaltlich beide Blogbeiträge zusammen. Soviel erst einmal zur „Gebrauchsanweisung“ beim Lesen und Verstehen.


Theoretische Hinführung

Sokrates und Digitalität – Das klingt doch erst einmal so, als würde dies nicht zusammenpassen. In diesem Blogbeitrag wollen wir darauf eingehen, was Sokrates, der wohl bekannteste griechische Philosoph (470 – 399 v. Chr.), möglicherweise mit der Kultur der Digitalität verbindet.

Sokrates

Unser heutiges Wissen über Sokrates speist sich im Wesentlichen aus sekundären Quellen, weil er selbst keine Aufzeichnungen hinterließ. All das, was man heute über Sokrates Wirken weiß, wurde durch seine Schüler wie Platon, Xenophon, Aristoteles, Aristophanes und Diogenes überliefert. Das sokratische Wesen und sein Wirken haben sich also ganz im Umgang mit seinem Umfeld entfaltet. Typisch für Sokrates war demnach vor allem der Dialog. Diesen führte er nicht nur mit seinen Schülern, sondern auch mit jedermann auf dem Marktplatz (vgl. Xenophon & Jaerisch 2014: 328).

In den Schriften über Sokrates tritt er meist als Dialogführer zu verschiedensten Thematiken auf. Es wird davon ausgegangen, dass diese Dialoge teils auf Erinnerungen an tatsächlich von Sokrates Gesagtem basieren und teils durch Kommentare zu Themen, welche an sein sokratisches Denken angepasst wurden, ergänzt werden (vgl. Xenophon & Jaerisch 2014: 329).

Sein Vater war Schreiner, seine Mutter war Hebamme. Zum Beruf seiner Mutter besteht im Leben und Wirken des Sokrates eine besondere Verbindung: Platon beschreibt in seinem „Theaitetos“ einige Dialoge, in denen Sokrates der Hauptakteur ist: Diese Methode zur Erkenntnisgewinnung wird später als „Mäeutik“ (griech.: maieutik = Hebammenkunst) bezeichnet. Sokrates selbst verglich seine Arbeit mit der einer Hebamme. Er sieht sich selbst als denjenigen, der nicht selbst das Produkt generiert (Gebärender), sondern lediglich dabei hilft, es an die Oberfläche zu bringen. Dabei gilt das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“, denn Sokrates leitet in seinen Dialogen durch gezielte Fragen zu mehr Erkenntnisgewinn. Er ist dabei aber selbst nicht Besitzer einer allumfassenden Wahrheit, er gibt lediglich Fragen vor, welche beantwortet und die Antworten anschließend analysiert und allgemeingültig formuliert werden (vgl. Popp 2001; Lütjen 2013).

Dialogführung

Ziel dieser Sokratischen Dialogführung sei es gewesen, von Meinen, Glauben und Vermuten letztendlich zu Wissen und damit zur Wahrheit zu gelangen. Genauer gesagt beispielsweise die Klärung von Begriffen, welche im Alltag genutzt werden, ohne sich darüber Gedanken zu machen und diese Begriffe in ihrer eigentlichen Bedeutung zu reflektieren. Werden diese Begriffe hinterfragt und so neu bestimmt, können sie als Maßstab für die Analyse von realen Verhältnissen, also der Generierung von Wahrheit dienen. Die Grundlage hinter aller so erlangten Erkenntnis ist nach Sokrates die Vernunft (vgl. Horster 1994: 7f.). Wissen als Endresultat ist für Sokrates bedeutungslos, wenn es nicht die Wahrheit ist. Eine Ansammlung von Fakten ist ebenfalls bedeutungslos, die ethische Grundhaltung dahinter ist entscheidend. Es kam Sokrates auf die Bildung einer moralischen Haltung durch theoretischen Dialog als Form der Wahrheitssuche an (vgl. Horster 1994: 9).

Das sokratische Gespräch war im Grunde die Suche nach dem Wesen (griech.: ousia) einer Sache oder besser gesagt: nach dem Wesen von allem. Um zu diesem Wesen zu gelangen, wurden gewisse Dinge von Sokrates vorausgesetzt, welche dann als Basis für die Suche nach der Wahrheit (griech.: alétheia) über das Wesen dienten. Wahrnehmen kann jeder Mensch und darüber werden Meinungen (griech.: dóxa) gebildet. Hierbei kann sich der Wahrnehmende allerdings nie sicher sein, ob es sich um eine Meinung oder die Wahrheit handelt. Im sokratischen Dialog kann die Meinung dann überprüft, analysiert, korrigiert oder bestätigt werden. Dies lief in folgender Weise ab: Der sogenannte Proponent trifft eine Aussage, daraufhin kann der Opponent diese Aussage in Frage stellen, indem Einwände formuliert wurden. Diese Argumentation wird dann so lange weitergeführt, bis keine Einwände mehr gefunden werden können. So wurde von bloßer Meinung zu wahrer Aussage gelangt (vgl. Horster 1994: 9f.). Die so entstehenden Wahrheiten haben dabei immer einen vorläufigen Charakter, denn diese können und sollen mit immer neuen Erfahrungen in Konfrontation gebracht und so auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Ein vermeintlich geklärter Begriff kommt also auch nach dem Sokratischen Gespräch nicht zur Ruhe und das ist gut so (vgl. ebd.: 48ff.).

The Relation of the Individual to the State by John La Farge, 1905

Lernen heutzutage

Hier können wir nun den Bogen zu unserem heutigen Wissenserwerb schlagen. Dem Lernen. Das Phänomen „Lernen“ ist uns allen bekannt. Doch was genau ist und wie genau verhält sich das Lernen in der heutigen Zeit? Das Internet scheint uns auf alle Fragen eine Antwort zu geben. Schnell wird etwas „gegoogelt“. Im nächsten Schritt muss dann aber selbst reflektiert werden, ob diese Quelle vertrauenswürdig ist, ob der Kontext stimmt. Und wenn dies alles zutrifft, was genau passiert dann mit dieser Information? Wer kennt es nicht, man liest einen Wikipedia-Eintrag und hat hinterher mehr Fragen als vorher? Man hangelt sich von Seite zu Seite, die digitale Omnipräsenz von Informationen macht es möglich und man fällt unter Umständen in ein „rabbit hole“, taucht ab und unter in Informationen, Daten und… ja und was?

Ein weiteres Phänomen ist auch weithin bekannt: man lernt etwas auswendig, kann es reproduzieren, vergisst es aber danach auch wieder, weil es in keinen Kontext eingebettet werden kann und man keinen Zusammenhang zum Leben herstellen kann beziehungsweise nicht mit dritten darüber geredet und das erlernte gefestigt werden kann – quasi „Bildungs-Schrott“?

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – ein sehr bekanntes Zitat von Sokrates. Hier zeigt sich das in der Forschung oft diskutierte Paradoxon des sokratischen Nichtwissens: Sokrates stellt seine eigene Unwissenheit fest und erhebt zugleich den Anspruch, anderen bei der Erkenntnissuche helfen zu können. In seinen Sokratischen Gesprächen stellte er vornehmlich Fragen, hinterfragt das als „sicher gewusst geglaubte“ Wissen, damit sich die Gefragten darüber bewusstwurden, was sie alles nicht wissen. Er tat dies mit der Intention, seine Schüler selbst zum Denken anzuregen, Überliefertes zu hinterfragen und, um es mit Kant etwas moderner zu sagen: Den Mut zu haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Dies wird heute im Zusammenhang mit Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) immer wichtiger, altbewährte Dinge zu hinterfragen und neue Wege zu denken.

Mit seinem Zitat meinte Sokrates sicherlich nicht, dass er gar nichts wusste, sondern dass er sich über die Lückenhaftigkeit an für ihn entscheidenden und wichtigen Punkten seines gesicherten Wissens bewusst war. Letztlich kann niemand je alles wissen und es müssen oft Entscheidungen getroffen werden, ohne alle Fakten zu kennen.

Sokrates bediente sich einer kompromisslosen Fragetechnik, mit der er sein Gegenüber nicht bloßstellen wollte, sondern unabhängig von der Person das Primat der Wahrheit in den Mittelpunkt stellte. Er hatte tiefen Respekt vor seinen Gesprächspartnern und forderte diesen auch von ihnen ein. Die Gesprächsführung der sokratischen Methode wird Elenktik (griech.: élen-chos, έλεγχος = Fragen, Prüfen, Widerlegen) genannt. Dieses methodische Verfahren soll den Wissensstand des Dialogpartners prüfen und ihn zu neuen Erkenntnissen führen. Platon bezeichnete dieses Verfahren als Reinigung der Seele in der Auflösung von Scheinwissen durch prüfendes Fragen (vgl. Rehehäuser).

In diesem Sinne wollen wir uns als Lernteam in eine Gemeinschaftlichkeit begeben und uns mit unseren Fragen aufeinander beziehen, kritisch nachfragen und gemeinsam nach Antworten suchen. Da dies in einem digitalen Raum geschieht, lassen wir euch an unseren Gedanken teilhaben.

Blogeintrag

Hallo zusammen. In diesem Blog haben wir (Laura, Angela und Andreas) uns über mehrere Wochen digital „zusammengesetzt“, um das Semester und in diesem Fall den Kurs „Bildung in einer Kultur der Digitalität“ Revue passieren zu lassen. Dazu haben wir ein gemeinsames Dokument angelegt, in dem wir zeitlich unabhängig voneinander über bestimmte Themen diskutiert haben. Wir sehen dieses Vorgehen als ein innovatives Projekt an, bei dem unsere Zusammenarbeit neue Einblicke bietet und wir trotz parallel oder nicht verlaufenden Urlauben / Arbeitszeiten / anderen Projekten eine gemeinsame Sammlung von Diskussion und Wissen erschaffen. Unsere Ergebnisse, welche in diesem Beitrag für euch nun für euch aufbereitet wurden, sind jeweils mit der Zeit und dem Namen des Verfassenden versehen. So wird der zeitliche Prozess des Projekts transparent und dargelegt, wie wir in einer Mischung aus Unabhängigkeit und Kooperation zusammengearbeitet haben und so eine neue Art des Lernens und Mitarbeitens für uns erschaffen haben.

Gut zu wissen

Zu diesem Beitrag wurde von Alexander Klier ganz im Verständnis von Sokrates Mäeutik ein passender Blogbeitrag mit konkreten Nachfragen zu unserem Beitrag verfasst, mehr zum Thema findet ihr also in diesem Beitrag:

Die Diskussion als asynchroner Prozess

Aber zuerst steigen wir nun in unsere Diskussion ein:

30.07.22 // Andreas:

Hi zusammen! Die Semesterferien sind ja erst gestartet und ich habe mich mal ein bisschen durch den Moodlekurs geklickt. Eines der ersten Themen war ja, welche Art des Lernens wir überhaupt kennen und wie diese selbst anwenden. Was fällt euch dazu als erstes ein?

01.08.2022 // Angela:

Hi Andi! Schön, dass du startest. Ich bin auch gerade in die Präsentation gegangen und habe mich nochmal etwas eingelesen. Was ich super interessant finde, ist, wie viele Varianten des Lernens es eigentlich gibt. Hier im Master GWT haben wir auch einen großen Mix davon. Wir haben Gruppenarbeiten, schriftliche Prüfungen, mündliche Prüfungen und auch mal Projekte. Mir fällt bei allen diesen Arten von Prüfungen immer das Lernen durch Konditionierung am leichtesten. Ich bin eine Person, die super wenig (!) auswendig lernt, ich stelle lieber Zusammenhänge zu bereits gelerntem dar, die Grundlagen habe ich oft schon, Verknüpfungen in meinem Hirn helfen mir, das alles zu merken, weil doch alles irgendwie zusammenhängt, wenn es Sinn macht. Das gibt mir auch mehr Sicherheit! Wie ist das bei euch?
Gut zu wissen: Hier findet ihr eine Nachfrage von Alexander Klier und unsere Antwort zu diesem Beitrag.

01.08.2022 // Laura:

Hi ihr beiden! Ich freue mich auf unsere Diskussion hier! Ich kann Angelas Punkt gut nachvollziehen, ich brauche auch eine Grundlage an Wissen, welche ich mir allerdings schon durch Auswendiglernen aneigne. Dabei wiederhole ich alles möglichst oft und versuche dabei auch verschiedene Sinneswahrnehmungen einzubeziehen. Ich schreibe mir viel auf, formuliere Dinge in meinen eigenen Worten um, um mir Sachverhalte so verständlicher zu machen. Außerdem spreche es aber auch laut aus – erzähle mir das zu Lernende also selbst. Dabei bin ich allerdings auch noch sehr analog unterwegs und notiere immer noch viel handschriftlich, von dir Andi weiß ich ja, dass du das gar nicht magst.

02.08.2022 // Andreas:

Laura, da hast du vollkommen recht. Ich bin voll in meinem persönlichen digitalen Arbeiten bzw. Lernen angekommen, ich schreibe alles nur noch am Laptop mit. Was ich oft mache, ist, dass ich mir alles vorspreche und aufnehme und es danach super oft anhöre. Dadurch kann ich auch nebenbei noch andere Sachen machen und ich hoffe immer darauf, dass sich das dann irgendwie in mein Gedächtnis einbrennt. Was ich gar nicht kann, ist langes Auswendiglernen. Ich wende viel lieber praktisch an, manchmal erstelle ich mir zum Beispiel Präsentationen zu den jeweiligen Themen, nur um sie mir dann selbst vorzutragen. Das ist ein kleiner Trick, den ich mir im Bachelor angeeignet habe. Auf jeden Fall sieht man schon anhand dieser wenigen Beispiele wirklich, wie divers unsere Arten des Lernens sind.

03.08.2022 // Angela:

Aber genau das macht ja die Arbeit von Teams so effektiv. Erinnert ihr euch noch an das letzte Semester und die neuen Arten von Zusammenarbeit und neue Formen von Unternehmensführung? Ich finde es jedenfalls prima, dass wir hier im Studium GWT viele Gruppenarbeiten haben. Hier kann sich jeder und jede mit den Fähigkeiten einbringen und so entsteht eine Gemeinschaftlichkeit. Ich kann mich auf das beziehen, was einer von meiner Gruppe schon gedacht hat, und so befruchtet ein Gedanke den anderen. Die Themen des 21. Jahrhunderts sind sicherlich nicht monodisziplinär und im Alleingang zu lösen.

05.08.2022 // Laura:

Da stimme ich dir zu. Da erinnere ich mich an einen Text von Malte Brinkmann. Er sagt, dass beim Lernen das Produkt und das Outcome im Fokus stehen, nicht aber der Prozess. (vgl. Brinkmann 2020:1f.). Das ist meiner Meinung nach in unserem Studium anders. Natürlich müssen wir auch am Ende etwas abliefern, einen Leistungsnachweis erbringen, aber durch die Gruppenarbeiten, verschiedenen Tools und offene Gestaltung der Zusammenarbeit kommt man so viel mit anderen Meinungen und anderem Wissen in Berührung, dass auf dem Weg zu einem Endergebnis oft Dinge erlernt werden, die es ohne einen solchen Prozess kaum hätte geben können. Das sind dann im Endeffekt auch wieder Produkte und Outcomes des Prozesses – aber der Prozess spielt dabei eine sehr entscheidende Rolle. Da sollte man ihm nicht die Wichtigkeit absprechen, oder?

Gut zu wissen: Hier findet ihr eine Nachfrage von Alexander Klier und unsere Antwort zu diesem Beitrag.

05.08.2022 // Andreas:

Ja, das möchte ich auch noch einmal betonen. Ich erinnere mich an viele Gruppenarbeiten, bei denen ich so viel gelernt habe, was mit dem eigentlichen Thema nicht so viel zu tun hatte. Das hätte ich sicher nicht mitbekommen, wenn ich stattdessen nur ein paar Bücher zur Verfügung gehabt hätte, in denen die Informationen zu einem bestimmten Bereich gesammelt sind, nicht aber das ganze Drumherum und der Austausch mit KommilitonInnen. Auch reine Vorträge bieten nicht das, was in einer Diskussion mit Mitstudierenden passiert.

06.08.2022 // Angela:

Da können wir ja eine gute Verbindung zu unserer Tagung am 20. Mai an der LMU finden, oder?

Kurze Information für LeserInnen des Blogs:
Am 20. Mai 2022 fand die Tagung “Gerecht, digital, nachhaltig! Interdisziplinäre Perspektiven auf Lehr- und Lernprozesse in der digitalen Welt” an der LMU statt. Die Studierenden des Masters GWT waren vor Ort. Die Veranstaltung richtete den Blick auf Verknüpfungen zwischen Nachhaltigkeit und Bildungsgerechtigkeit in der Kultur der Digitalität.

06.08.2022 // Andreas:

Da steige ich gerne mit ein. Die Tagung war ja hybrid organisiert, was ich zunächst einmal super finde. Soweit ich weiß, waren bei uns aus dem Master GWT aber alle tatsächlich vor Ort anwesend. Aufgrund des Titels und der Werbung für das Event, waren die Erwartungen irgendwie hoch und wir alle waren glaube ich gespannt auf neue Themen und vor allem aber eine innovative Umsetzung. Was ich dann allerdings sehr schade fand, war, dass erstmal eine sehr lange Phase gefüllt mit klassischen Vorträgen stattfand. Es war also nur ein Dasitzen und sich etwas anzuhören. Das fand ich mäßig innovativ. Ich erinnere mich, dass angesprochen wurde, dass die Digitalisierung für einen Zuwachs von Arbeiten in Teams und Gruppen sorgt. Hier hätte ich mir gewünscht, dass diese Art des Lernens dort vor Ort dann auch direkt stattfindet. Natürlich ist ein Vortrag als Einstieg gut, aber 2 Stunden hätte es nicht dauern müssen.

08.08.2022 // Laura:

Da stimme ich dir voll zu. Vor allem, weil auch Sachlagen erwähnt wurden, die dann selbst nicht so eingehalten wurden. Ich kann mich erinnern, dass beispielsweise Kreativität als Voraussetzung für das Lernen genannt wurde. Das wurde dort meiner Meinung nach allerdings nicht umgesetzt. Nach den anfänglichen Vorträgen ging es ja dann in die Denkräume zu verschiedenen Themen, doch auch da wurden lediglich Vorträge gehalten – Spielraum für eigenes Denken und Nachfragen war kaum bis gar nicht vorhanden – das hat mich sehr enttäuscht. Umso schöner finde ich, dass wir hier gerade kreativ sein und innovativ neue Lernmethoden ausprobieren können. Was mir von der Tagung vor allem im Kopf geblieben ist, war das Beispiel von LehrerInnen in Kanada. Es wurde gesagt, dass das gemeinsame Lernen und Lehren in einem gemeinsam kreierten Raum den größten Effekt hat. Diese kollektive Wirksamkeit finde ich super, das sieht man auf allen Ebenen, hier bei uns ist es ja genauso.

12.08.2022 // Angela:

Zu euren Ausführungen habe ich gerade gar nicht mehr viel zu ergänzen. Wo ich aber noch kurz anknüpfen möchte, ist Andreas’ Punkt mit der Hybridität der Veranstaltung. Ich finde es immer super, wenn man die Wahl zwischen virtueller Anwesenheit oder Präsenz hat. Primär dann, wenn es nur um einen Vortrag geht, da möchte ich die lange Anfahrtszeit nicht auf mich nehmen müssen. Manchmal bin ich tatsächlich im virtuellen Raum präsenter und weniger abgelenkt als, wenn ich in einem realen Raum von vielen anderen Dingen abgelenkt bin. Da kann man ja dann auch das anbringen, was wir im Kurs bei Alexander über den Unterschied von Räumen und Orten gelernt haben.

12.08.2022 // Angela:

Ich habe mich dazu noch einmal in Moodle etwas eingelesen. Was ich am interessantesten fand, war der Unterschied zwischen dem noch zu gestaltenden Raum (Room), des schon gestalteten Raumes (Place) und des raumzeitlichen Ortes (Space) (vgl. Sesink 2014). Wenn ich darüber etwas nachdenke, macht das auch vollkommen Sinn. Vor allem die englischen Begriffe helfen mir hierbei, das alles noch einmal aufteilen zu können. Um mal kurz aus dem Kontext hier rauszugehen, finde ich auch das sehr spannend. Denn in anderen Sprachen gibt es teilweise einfach Begriffe für Umstände, die es im Deutschen so nicht gibt. Wenn ich an einen “Room” denke, entsteht in meinem Kopf nämlich noch kein bestimmter Raum, sondern einer, der noch nach einem Zusatz erfordert. Zum Beispiel “living room”, “bedroom” usw. Bei “Place” hingegen denke ich an einen Raum, der schon einen bestimmten Sinn erfüllt. Und “Space” ist noch komplett offen. Wie seht ihr das?

16.08.2022 // Laura:

Ich sehe das ähnlich wie du. Tatsächlich habe ich das mit den englischen Begriffen so noch nie betrachtet, jetzt ergibt es aber absolut Sinn für mich. Was bei mir hängen geblieben ist, ist das Zusammenspiel des Raumes, in dem man sich physisch befindet und des virtuellen Raumes, in dem man sich gerade gedanklich aufhält. Da kommt mir natürlich sofort Corona und die digitale Lehre in den Sinn. Denn natürlich befindet man sich zum Beispiel während einer Vorlesung oder Diskussion in Break Out Rooms über Zoom gerade mit der geistigen Kapazität in der Thematik, aber der physische Aufenthaltsraum bestimmt die allgemeine Atmosphäre doch sehr. Ich habe manche Vorlesungen zu Hause verfolgt und manche aber auch in der S-Bahn oder in der Wohnung meiner Eltern. Der jeweilige Aufenthaltsort hat meine Aufmerksamkeit und Lust, etwas zu lernen sehr bestimmt. Wie ging es euch damit?

16.08.2022 // Laura:

Das ging mir ganz genauso! Ich kann dazu auch ein kleines Beispiel bringen. Wenn ich eine Vorlesung von daheim verfolgt habe, befinde ich mich ja in einem bereits gestalteten Raum. Da dieser Raum – auf Englisch “Place” – von mir selbst hergerichtet wurde, fühle ich mich dort logischerweise sehr wohl. Nach einer langen Zeit der Pandemie konnte man sich seinen Raum auch auf das digitale Lernen anpassen und sich Equipment besorgen oder es sich einfach gemütlicher machen, als man das vor der Zeit mit Corona kannte. Andreas, wie ging es dir dabei?

17.08.2022 // Andreas:

Mir geht das ähnlich. Ich habe an manchen Vorlesungen an Orten teilgenommen, an denen es nicht allzu bequem war, wie z.B. am Flughafen oder in einem Ferienhaus, wo es keinen richtigen Schreibtisch gab. Das macht es viel unangenehmer, wenn man sich physisch in einem Zustand befindet, in dem man nicht auf das Lernen eingestellt ist. Ganz am Anfang von Corona habe ich auch ehrlicherweise manche Vorlesungen aus dem Bett heraus verfolgt, einfach weil es so bequem erschien und man die Kamera oft nicht anmachen musste. Das habe ich mir dann aber irgendwann abgewöhnt, weil die Konzentration da ganz schnell flöten ging. Angenehm ist es auch, wenn man bei gutem Wetter auf dem Balkon oder im Garten sitzen kann. Wenn die Umgebung angenehm ist, macht das digitale Lernen und Diskutieren auch gleich viel mehr Spaß.

19.08.2022 // Andreas:

Wenn wir schon über das digitale Lernen und virtuelle Räume sprechen, kam mir gerade noch ein Thema in den Sinn, das wir gegen Ende des Semesters behandelt hatten: Digitale Lerntools. Da gab es beispielsweise Twitter und Microblogging, soziale Netzwerke wie Facebook und WhatsApp oder auch Lernvideos auf YouTube. Was davon benutzt ihr denn am häufigsten?

Gut zu wissen: Hier findet ihr eine Nachfrage von Alexander Klier und unsere Antwort zu diesem Beitrag.

21.08.2022 // Laura:

Ich benutze einen Mix aus allem, würde ich sagen. Wikis allgemein sind meistens der erste Anhaltspunkt, wenn ich an Informationen gelangen möchte. Speziell bei Wikipedia muss man aber natürlich aufpassen, dass das dort geteilte Wissen auch wirklich faktenbasiert ist. Durch die Quellen am Ende der Seite kann man das aber meist ganz gut nachvollziehen. Trotzdem gilt Wikipedia ja nicht als wissenschaftliche Quelle, weshalb eine anschließende Literaturrecherche folgen muss. Dafür haben wir dann ja die HM Bibliothek, sowohl digital als auch an den verschiedenen Standorten in München. Etabliert hat sich ja schon seit Aufkommen von Messenger-Diensten wie Whatsapp, dass man dort Gruppen für eine Klasse oder den jeweiligen Studiengang erstellt.

23.08.2022 // Angela:

Das mit den Messenger-Diensten ist mir am wichtigsten. Vor allem, wenn man im Bachelor noch nicht Teil der Hochschule München war, kann man dort viele wichtige Informationen bekommen. Ich erinnere mich an viele Situationen, bei denen ich dich, Andreas, gefragt habe, wie denn einige Prozesse an der HM wirklich ablaufen. Hätte ich das bei einer offiziellen Stelle der HM nachfragen müssen, hätte das sicher Tage in Anspruch genommen. Ansonsten schaue ich sehr gerne YouTube Videos an, dort gibt es aber oft nicht die wissenschaftlichen Themen, die ich benötigen würde. Und wenn es sie gibt, dann sind sie oft auf Englisch, was sehr anstrengend sein kann, wenn viel Fachsprache benutzt wird.

23.08.2022 // Andreas:

Das mit den YouTube Videos kann ich gut nachvollziehen. Sehr oft ist es dort auch der Fall, dass gar keine Quellen genannt werden. Das macht die Nachvollziehbarkeit wirklich schwierig. Ich nutze wie Laura auch einen Mix aus vielen digitalen Lerntools, im letzten Jahr habe ich aber speziell Twitter für mich entdeckt, um an Informationen zu gelangen. Das dortige Teilen von Text ist ja erstmal limitiert, weil nur 280 Zeichen benutzt werden dürfen. Das macht das erste Finden leichter, weil man nicht ewige Texte durchforsten muss, um zum gesuchten Thema zu kommen. Zusätzlich werden auch oft Quellen oder Texte geteilt und durch das Klicken auf diese Links kann man sich ja dann tiefgehender informieren. Auch die Hashtags dort machen die Suche super einfach. Was mir dort aber am meisten gefällt, ist das Diskutieren der Nutzer. So wie wir das hier machen, ist es ja auch auf Twitter ähnlich. Die Debatten inspirieren oft zu Gedankengängen, die ich vorher gar nicht gehabt hätte. Ein Nachteil ist aber, dass die dortige Debattenkultur manchmal etwas in Beleidigungen und Vorwürfe abdriftet. Es zeigt sich dort nun mal, dass dort Menschen emotional diskutieren und nicht nur Informationen gesammelt werden.

24.08.2022 // Angela:

Auf Twitter bin ich zwar nicht unterwegs, aber beim Thema Nachteile möchte ich einsteigen: Bei YouTube ist die Werbung supernervig und oft kann man sie auch gar nicht überspringen. Das dortige Abo-Modell ist mir aber zu teuer, um für das dann doch eher seltene Recherchieren zu bezahlen. Auch muss man dort länger suchen, bis man qualitativ hochwertige Videos findet.

24.08.2022 // Andreas:

Ja, das stimmt. Trotzdem muss man aber auch bedenken, dass die Menschen dort auch Geld verdienen wollen. Wissen zu generieren und zu teilen, kostet die jeweiligen CreaterInnen ja auch Zeit und Geld für Equipment.

26.08.2022 // Laura:

Ich bin der Meinung, dass die Politik da auch noch mehr Geld in die Hand nehmen muss. Viele SchülerInnen bilden sich heutzutage mehr über YouTube als über Schulbücher weiter. Diese Bücher sind auch oft so veraltet, dass man da gar keinen Spaß mehr daran hat. Ich habe zum Beispiel das Mathematik-Abitur auch deshalb ganz gut bestanden, weil ich mir Rechenwege immer wieder angucken konnte. Das ist wirklich von großem Vorteil.

27.08.2022 // Andreas:

Jetzt reden wir ja die ganze Zeit schon von digitalen Tools und vorher haben wir das Thema Digitalisierung im Rahmen der Tagung an der LMU auch schon angeschnitten. Im Laufe des Semesters sind wir da im Kurs ja alle immer wieder über die Begrifflichkeiten gestolpert – wollen wir da nochmal kurz drüber sprechen? Was genau war denn jetzt Digitalität und was verstehe ich unter Digitalisierung?

27.08.2022 // Angela:

Oh ja, stimmt, das ist ein wichtiger Punkt. Da glaube ich, haben wir in unseren Köpfen oftmals die Begriffe durcheinandergebracht. Mir ist da noch im Kopf, dass wir einmal darüber diskutiert haben, dass der Unterschied im Wesentlichen darin liegt, dass die Digitalisierung im Grunde erstmal nur eine Übersetzung von beispielsweise Dokumenten und Büchern in Dateien, welche dann online verfügbar sind, ist – eine PDF-Datei eines Buches ist dann quasi “nur” die Weiterentwicklung des Buchdrucks, aber nicht mehr und nicht weniger.

27.08. 2022 // Laura:

Ja genau, so hatte ich das auf im Kopf. Digitalisierung meint die technische Komponente. Ich habe etwas recherchiert und zum Begriff der Digitalität dann Folgendes gefunden: Bei Digitalität kommt zur Digitalisierung der Mensch dazu, es werden also Technik und Mensch vereint – analog und digital oder auch Tradition und Innovation werden vernetzt. Dabei werden dann die Vorteile von beiden in einer Balance aus analog und digital genutzt. Als Digitalität wird also keine Methode bezeichnet, sondern es handelt sich eher um einen Grundsatz beziehungsweise eine Haltung. Im 21. Jahrhundert sind wir nicht entweder digital oder analog, sondern in beiden Feldern unterwegs, eben der Digitalität, welche für viele Lösungsansätze für verschiedene Lebensbereiche darlegt (vgl. Schier 2018).

30.08.2022 // Andreas:

Danke Laura, die Unterscheidung so noch einmal zu lesen, hat für mich die Fragezeichen in meinem Kopf aufgelöst! Damit haben wir ja jetzt schon einige Themen des Semesters diskutiert und so für uns noch einmal klarer definiert – ich für meinen Teil kann mir das so jetzt bestimmt auch noch einmal besser merken. Was meint ihr – damit können wir einen guten Abschluss für unseren Blog finden, oder?

30.08.2022 // Laura:

Das sehe ich auch so! Ich fand es sehr gut, mich mit etwas Abstand noch einmal den für uns prägnantesten Themenbereichen zu widmen und diese von unseren Standpunkten aus zu diskutieren.

30.08.2022 // Angela:

Damit haben wir dann ein persönliches Bezugssystem erstellt, die so genannte Referenzialität. Die ist zur allgegenwärtigen und allgemein zugänglichen Methode geworden, um all die vielen Dinge, die jedem Einzelnen begegnen, zu ordnen. Wir haben die Themen so in einen konkreten Bedeutungszusammenhang gebracht, der auch das eigene Verhältnis zur Welt und die subjektive Position in ihr (mit-)bestimmt. Orientierung wie auch Handlungsfähigkeit können nur im Austausch mit anderen entstehen, innerhalb eines größeren Rahmens, sagt Felix Stalder in seinem Aufsatz: Grundformen der Digitalität. Er spricht von unübersichtlichen Zeiten, in denen es wirklich gut ist einen Austausch mit anderen zu haben. Diese Gemeinschaftlichkeit, diese Formation, die neues Wissen hervorbringt, stellt die eigentliche Kultur dar, in Form einer geteilten Bedeutung. Somit ist unsere Reflektionen auf das Gelernte ein kooperativer Filter-, Interpretations- und Konstitutionsmechanismus.

Danke euch für diese neue Art des Austauschs, das hat super Spaß gemacht!

Damit sind wir am Ende unseres Blogs angekommen. Für uns war das eine ganz neue Erfahrung. Ein paar Tage nach Abschluss des Blogs haben wir noch einmal telefoniert und uns über den Ablauf ausgetauscht. Es war von Vorteil, dass wir den Blog zeitlich über die Semesterferien gestreckt haben. So hatten alle genug Zeit und die Diskussion hat Spaß gemacht, weil man zeitlich nicht gestresst war. Debatten und Austausch, für die während des Semesters manchmal keine Zeit war, konnten wir jetzt aufbauen.

Wir hoffen, ihr konntet für euch etwas aus unserer Diskussion mitnehmen und hattet Spaß am Mitlesen! 🙂

Rückbezug zum Sokratischen Dialog

Unser “Lernexperiment” unter Vorbild des Sokratischen Dialogs wollen wir zum Schluss noch einmal zu Sokrates Gesprächsführung in Beziehung setzen. Wie es laut seinen Schülern auch Sokrates sehr wichtig war durch seine Dialoge zu einem gemeinsamen Wissen zu kommen, so haben auch wir versucht unsere Wissensbasis, welche wir aus dem Seminar “Bildung in einer Kultur der Digitalität” mitnehmen konnten, gemeinsam zu hinterfragen, auszubauen und zu festigen. Dabei haben wir uns nicht wie Sokrates auf dem Marktplatz verabredet, sondern zeitlich und räumlich unabhängig voneinander digital zusammengearbeitet. Diese Schaffung von Gemeinschaftlichkeit und Referenzialität hat uns der digitale Raum mit seinen digitalen Tools ermöglicht, in dem wir eine „Kultur der Digitalität“ (versuchsweise) leben konnten.

Formales

Literatur

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