Lernen braucht Management

Lernen braucht Management

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Selbstorganisation ist Voraussetzung für Onlinelehre!

Das Sommersemester hat für alle eine Form angenommen, mit der keiner gerechnet hat. „Lernen“ nimmt in Zeiten von Corona eine neue Form an vor allem im Bereich des digitalen Lernens. Hochschulen und Universitäten deutschland – ja sogar weltweit – machen jetzt Onlinelehre. Aber wie funktioniert Onlinelehre eigentlich? Sind wir bereit für die digitale Transformation der Hochschullehre? Ich möchte gerne in diesem Beitrag das Thema Selbstorganisation und Lernen im digitalen Kontext aufgreifen, da diese die Onlinelehre maßgeblich beeinflussen kann.  

Ich möchte behaupten, dass digitales Lernen ein erhöhtes Maß an Selbstorganisation und Selbstdisziplin erfordert. Dabei möchte ich keinen Falls bestreiten, dass Selbstorganisation im Präsenzstudium keine Rolle spielt. Aber gerade die vielen Möglichkeiten der Onlinelehre fordern dies eben in ungewohntem Maß. Das Überschreiten von Orts- und Zeitgrenzen, der uneingeschränkte Zugriff auf Informationen sowie eine synchrone und asynchrone Kommunikation sind die Merkmale des Internets, welche jetzt auch in der Hochschullehre besonders erlebbar werden. Reimann geht davon aus, dass durch das Internet nicht nur physische Grenzen überwunden werden, sondern auch inhaltliche, soziale und persönliche. Dies ist wohl nichts Bahnbrechendes oder Unbekanntes im Jahr 2020, jedoch gewinnt es an Relevanz für die Studierenden. Diese Relevanz möchte ich an dieser Stelle mit einem Zitat von Gabi Reimann verdeutlichen. „Wenn die offene Entwicklung von Lern- und Bildungsinhalten, wenn Kollaboration und Netzwerkbildung sowie autonome Selbstartikulation und Persönlichkeitsentfaltung zu den zentralen Potenzialen des Web 2.0 zählen, muss man beim Web-Nutzer geradezu zwangsläufig von einer hohen Selbstorganisation und der Fähigkeit zum selbstorganisierten Lernen ausgehen: Nur dann nämlich können diese Potenziale auch genutzt werden.“ (Reimann 2009). Betrachtet man den aktuellen humboldtschen Bildungsbegriff, lassen sich doch einige Gemeinsamkeiten erkennen. Humboldt beschreibt die Universität als Ort der Hervorbringung von autonomen Individuen und Weltbürgern. Dabei betont er ebenso den Prozess des sich selbst hervorbringen. Bildung kann dabei nicht vermittelt werden sondern wird durch sich selbst vollzogen (vgl. Hofman 2010).  

Stehen Bildung und Selbstorganisation somit in einer wechselseitigen Beziehung und bedingen sich. Dazu möchte ich die Begrifflichkeiten Selbstorganisation und selbstorganisiertes Lernen genauer beleuchten. Selbstorganisation beschreibt allgemein die Entstehung und Herstellung von Ordnung (vgl. Reimann 2009, 3). Matthias Förtsch bezieht sich in einem Beitrag zu digitaler Hochschullehre auf die Definition von Selbstmanagement auf Dirscherl und Braumandl, welche Selbstmanagement als Fähigkeit sehen, persönliche Ziele und Werte in Einklang zu bringen, selbstgeatzte Ziele zu erreichen und Zufriedenheit erfahren (vgl. Förtsch nach Drischerl und Braumandl 2020, o.S.). Dabei ist es wichtig zu fragen, wie diese Ordnung entsteht oder hergestellt wird – nämlich auf organischer Ebene, auf personaler Ebene oder auf sozialer Ebene. Die organische Ebene meint damit den Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung, die personale Ebene bezieht sich auf eigene Ziele und Absichten und die Soziale Ebene die Organisation von Gruppen oder Gesellschaften (vgl. Reimann 2009, 3). 

„Geht es um Selbstorganisation im Web 2.0, hat man in der Regel sowohl die Person als auch soziale Einheiten im Blick“ (Reinmann 2009).

Dabei handelt es ich um nicht von Personen intendierten Entstehungen von Ordnung und der selbstbestimmten Herstellung von Ordnung. Schaut man sich die personale Ebene genauer an, lässt sich Selbstorganisation auf der personalen Ebene und auch selbstorganisiertes Lernen noch genauer differenzieren. Reimann versteht unter Selbstorganisation auf personaler Ebene „einen handlungsregulierten Prozess innerhalb der Person, die allerdings stets auch Teil einer von äußeren Einflüssen gesteuerten spezifischen Situation ist.“ (Reimann 2009). 

Selbstreguliertes Lernen

Lernen ist eine Handlung und somit selbstreguliert. Dabei müssen Informationen aus der Umwelt wahrgenommen, verarbeitet und verstanden werden, wobei es sich um die kognitive Kontrolle von Lernen handelt. Die metakognitive ebene beinhaltetet die Zielvorstellung, dessen Erreichbarkeit und Prozessorientierung. Eine der wohl wichtigsten Einflüsse ist die Motivation. Dabei müssen wir unsere Emotionen so regulieren, dass wir bereit sind zu lernen. Dies passiert durch die emotional-motivationale Emotion (vgl. Reimann 2009, 4). 

„Selbstregulation beschreibt demnach die innere Strukturierung des Lernens bzw. eine innere und damit unsichtbare Ordnung, ohne die kein Lernen möglich wäre.“ (Reimann 2009)

Die Selbstregulation ist somit die Grundvoraussetzung, dass Lernen überhaupt stattfinden kann. Tatsächlich haben wir damit als Studierende täglich zu tun, egal ob in der analogen oder digitalen Lehre. Nach meinem Empfinden ist die Selbstregulation gekoppelt an einen Besuch der Vorlesung oder des Seminars in der Hochschule besser zu regulieren wie im Homeoffice. Wieso das so ist, kann uns vielleicht der nächste Abschnitt sagen, wo es nun um selbstgesteuertes Lernen geht. 

Selbstgesteuertes Lernen 

Dem Wort Steuerung kann man bereits entnehmen, dass Lernen durch unterschiedliche Faktoren gelenkt werden kann. „Selbststeuerung beschreibt also die äußere Strukturierung des Lernens bzw. eine äußere, prinzipiell sichtbare Ordnung, die natürlich wieder Einfluss auf die innere Ordnung, die Selbstregulation, nehmen kann.“ (ebd.) Der Selbststeuerungsanteil wird durch Lehrende bereits vorstrukturiert und er fällt somit unterschiedlich groß aus. Zu Beginn der Onlinelehre war unser Selbststeuerungsanteil noch ziemlich hoch, was uns zeitweise auch überfordert hat oder es immer noch tut. Dabei ist die Gestaltung der Lernumgebung, aktuell Moodle, sehr ausschlaggebend für die Motivation. 

Selbstbestimmtes Lernen

Selbstbestimmtes Lernen findet nun statt, wenn die beiden genannten inneren und äußeren Strukturierungen miteinander vereint werden. Es geht also darum Anforderungen in das Selbst zu integrieren und damit zu identifizieren „und sich in der Folge autonom“ (Reimann 2009) zu fühlen. 

Reimann warnt auch davor, dass Menschen nicht in jeder Situation ein Optimum an Selbstorganisation erreichen können. Sie ist abhängig vom Willen zur Selbstorganisation. So sollte man zum einen Interesse am Lerngegenstand haben und zum anderen Vorwissen und grundlegende Fähigkeiten in der Selbststeuerung innerhalb einer Lernumgebung vorweisen können. Selbstorganisation im Sinne der Selbstbestimmung ist ein politisches Ziel der Demokratie sowie die Organisationsbasis in Unternehmen (vgl. Reimann 2009, 7ff.).

Für uns bedeutet das nun, dass wir selbst für unser Lernen verantwortlich sind. Wieso genau, dass im Rahmen der Onlinelehre so bedeutend für uns wird, bleibt offen. Trotzdem kann ich die verschiedenen Arten von Selbstregulation, Selbststeuerung und Selbstbestimmung von Lernen für mich aktuell als elementare Bestandteile der Onlinelehre identifizieren. Studium findet jetzt nicht mehr nach Stundenplan statt, sondern auf verschiedene Art und Weise: Hier eine Onlinevorlesung, da ein Blogeintrag und dort eine Gruppenarbeit. Da muss man sich seinen Wochenplan jeden Sonntag erst einmal selbst zusammenstellen. Mein Lernprozess muss gerade in außergewöhnlichem Maß selbstreguliert sowie selbstgesteuert werden. Onlineveranstaltungen sind beispielsweise nicht regelmäßig, mal werden sie ersetzt durch Wochenaufgaben die virtuell stattfinden oder es gibt PowerPoint Präsentationen mit Audios. Die Aufgaben müssen dann zu bestimmten Zeitpunkten erledigt sein oder hochgeladen werden. Und dazwischen müssen noch Zoom – Meetings für Gruppenarbeiten ihren Platz finden. Frötsch geht davon aus, dass ein erfolgreiches Selbstmanagement von funktionierenden Planungs- Organisations-, Motivation- und Zielprozessen abhängt. Erfolgreiches digitales Lernen ist demnach die selbstständige Organisation der Lernzeit, eine bewusste Gestaltung von Lern- und Arbeitsprozess und das Verfügen über motivatonale Strategien (vgl. Förtsch 2020, o.S.). „So muss etwa die Herausforderung der Trennung zwischen Fokussierung (…) und Prokrastination systematisch eingeübt werden (…). Denn nur wer wenige Klicks von der digitalen Lernplattform oder der Videokonferenz entfernt warten Angebote wie Netflix oder Tiktok.“ (Förtsch 2020, o.S.). 

Aus der Erfahrung heraus, kann ich sagen, dass digitales Lernen gut organisiert sein muss. Das gilt für meine Selbstorganisation als Studierende und auch die Organisation durch die Lehrenden. Dabei sind die Struktur und die Darstellung auf der Plattform enorm wichtig, um die internistische Motivation und somit Selbststeuerung und -regulation zu fördern. Erste Ergebnisse einer Studie zur Transformation von Lernprozessen zeigt, dass auf beiden Seiten noch Ungewissheiten auftreten. „Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die Transformation des Lehrprozesses viele Gewissheiten auf Seiten der Lehrenden, Studierenden und Mitarbeitenden in Frage stellt. Gerade die Frage, wie Lehrprozesse online komplett neu gedacht werden müssen, spielt dabei eine große Rolle.“ (EBS Universität 2020). Auch Förtsch warnt davor, dass gelungenes Selbstmanagement bei Studierenden keine Selbstverständlichkeit ist (vgl. Förtsch 2020, o.S.). 

So stehen die Fremd- und die Selbstregulation in einer wechselseitigen Beziehung. Trotz der erhöhten Anforderungen sich Lerninhalte selbst anzueignen, sind Studierende auf die Steuerung und den Input ihrer Lehrenden angewiesen. Dazu ist es wichtig selbsterlernte Inhalte in Diskussionen nochmals in Kontexte zu setzten und zu reflektieren. Die Erfahrung zeigt, dass viele selbsterlernte Themen anschließend in der Luft hängen. Dabei wird ersichtlich, dass wir auf die Fremdsteuerung also auf die äußere Strukturierung trotzdem angewiesen sind. Generell verändert sich nicht nur die Rolle der Studierenden, sondern auch die der Lehrenden. Gerade der Input, das Zusammenbringen von Inhalten sowie eine gewisse Expert*innenperspektive fehlt immer wieder.

Reimann unterscheidet in Bezug auf selbstorganisiertes Lernen im Web 2.0 zwischen einer Innen- oder Außenperspektive. Dabei geht es bei der Innenperspektive um mentale Vorgänge wie etwa Lernstrategien und bei der Außensicht welche Bedingungen die Entscheidungs- und Gestaltungsfrage beeinflussen (vgl. Reimann 2009, 5). 

Zusammenfassend beschreibt Reimann die Voraussetzungen des Web 2.0 als Grenzen. Die Selbstregulation ist die Grundlage allen Lernens und es ist nicht davon auszugehen, „dass ein emanzipatorischer Ruck durch die Lernenden geht, sobald sie ein von Fremdbestimmung freies Web 2.0 zur Verfügung haben“ (Reimann 2009). Selbstorganisation setzt kognitive Fähigkeiten, Vorwissen, Interesse, Wille und Strategien voraus und stellt somit eine Herausforderung für jeden Einzelnen dar. Selbstorganisation im Web 2.0 ist notwendig und wünschenswert (ebd.).

Bei meiner Recherche bin ich noch auf einen Blogbeitrag gestoßen, welcher Selbstorganisation im Rahmen der Digitalisierung in einem Unternehmen erwähnt. Der Autor erwähnt, dass die Notwendigkeit von Selbstorganisation der Mitarbeitenden zunimmt. Dabei erwähnt er, dass sich Mitarbeitende besonders in orts- und zeitflexibler Arbeit besser organisieren müssen. Diese Selbstorganisation findet heute auf einer Plattform statt (vgl. Lindner 2017, o.S.). Ein anderer Blogbeitrag widmet sich sogar der Selbstverantwortung und Selbstorganisation im Kontext des digitalen Lernens. Die Autorin geht davon aus, dass sowohl Selbstverantwortung als auch Selbstorganisation Grundvoraussetzungen für das Lernen im digitalen Zeitalter sind. Sie sieht den Mensch als Treiber seines eigenen Lernens und beschreibt die Motivation als eine Andere. Lernen ist mehr intrinsisch motiviert und somit nachhaltig. Voraussetzung dafür ist die Selbstorganisationsfähigkeit, denn nur wer dich selbst strukturieren kann, hat die Möglichkeit sich im digitalen Zeitalter erfolgreich zu entwickeln (vgl. Kirchhof 2019, o.S.). 

Deshalb möchte ich abschließend den Gedanken aufgreifen, dass die Selbstorganisation von Lernen im digitalen Setting eine große Verantwortung ist, jedoch extrem viel individuellen Gestaltungsspielraum lässt und somit eine Chance für jeden von uns sein kann. Wenn Selbstregulation und -steuerung im Einklang sind, kann wie Reimann sagt ein selbstbestimmtes Lernen stattfinden. Digitales Lernen fordert und fördert selbstbestimmtes Lernen! Und das ist doch unser Ziel von Bildung?! 

Obwohl wir uns schnell an die neue Situation gewöhnt haben, ist damit die digitale Transformation noch nicht abgeschlossen, vielmehr beginnt sie gerade erst. Eine Studie der EBS Universität versucht Einblicke in die Transformationsprozesse zu erhalten, um herauszufinden wie Bildungseinrichtungen die digitale Transformation aktuell bewältigen können. Vielleicht kommt die Studie auch zu Ergebnissen, welche unsere Erfahrung belegen können.

Quellen:

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