Partizipation und Teilhabe in Unternehmen III

Partizipation und Teilhabe in Unternehmen III

Lesezeit (inkl. Mediennachweis): 6 Minuten

Allgemeiner Hinweis zum Podcast

Ein Podcast der Studierenden Irina Braun, Sophia Stein, Anna Maier und Philippe Schuler im Rahmen des Masterstudiengangs „Gesellschaftlicher Wandel und Teilhabe“ (Master GWT).

Produziert im Wintersemester 2018/19 als Ergebnis des Seminars „Steuerung digitaler Organisationen“ an der Hochschule München.

Soziokratische Unternehmen

Im Rahmen des dreiteiligen Podcasts „Organisationen im Wandel“ hat die Moderatorin Irina Braun drei Gäste aus (fiktiven) Firmen zu einem Gespräch zu Gast. Diese erläutern – als Protagonist*innen der jeweiligen Firma – den Aufbau, die Funktionsweise wie auch Probleme des jeweiligen „Bauplans“ (bzw. der Organisationsstruktur).

In dieser Folge geht es um holakratische Unternehmen, vorgestellt von Philippe Schuler. Hier ist das Skript mit dem Text aller drei Folgen hinterlegt. Beim Zitieren gilt das gesprochene Wort.

Hier geht es zu Teil 1 der Reihe und hier zu Teil 2.

Inhalt

Irina: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, schön, dass ihr wieder dabei seid – heute in der dritten und letzten Folge zum Thema „Partizipation und Teilhabe in Unternehmen“. In den letzten beiden Folgen, haben wir ja viel über Demokratische und Holakratische Unternehmen erfahren. Heute freue ich mich Philippe begrüßen zu dürfen, der uns das Konzept der Soziokratie 3.0 vorstellen wird. Hi, Philippe, schön dass du heute hier bist!

Philippe: Hallo Irina, hallo liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Erstmal vielen Dank Irina für die Einladung. Es freut mich, dass ich Gast sein darf in deiner mittlerweile ziemlich populären Podcastreihe „Organisationen im Wandel“.

Irina: Ja ich freue mich sehr auf das Gespräch, stell dich doch gerne einmal vor!

Philippe: Mein Name ist Philippe Schuler. Ich bin Soziokratie 3.0 Trainer und habe 2017 in Stuttgart den Startup „S3+Transformation-Consulting“ gegründet. Wir sind keine klassische Unternehmensberatung in dem Sinne, dass wir ein fertiges Konzept abliefern. Vielmehr unterstützen, begleiten und befähigen wir Unternehmen und Teams mit Digitalisierung und Agilität umzugehen. Dabei setzen wir vor allem auf das Open-Source-Konzept der Soziokratie 3.0 und entwickeln dieses durch unsere Erkenntnisse aus der Erfahrung auch weiter.

Irina: Das hört sich interessant an. Bin ja ebenfalls in der Unternehmens- und Innovationsberatung tätig, wenn ich nicht gerade Podcasts aufnehme.

Dann erzähl uns doch mal, was ist Soziokratie 3.0. genau?

Philippe: Wie auch die Holakratie, geht Soziokratie 3.0 oder abgekürzt S3 auf die Soziokratie zurück. Hiermit meine ich vor allem die Soziokratische Kreis Methode. Soziokratie bedeutet in der direkten Übersetzung „Herrschaft der Gefährten“ und lässt sich zurückführen auf den französischen Philosophen Auguste Comte, der Mitte des 19. Jahrhunderts Soziokratie als „soziale Ordnung der Zukunft“ bezeichnete. Soziokratie bedeutet kollektive Führung auf Augenhöhe im Gegensatz zu Demokratie, bei der, die Macht der berechtigten Mehrheit zählt.

Soziokratie 3.0 ist noch eine relativ junge Methode, um Organisationen jeder Größe effektiver, agiler und resilienter zu machen. Bernhard Bockelbrink und James Priest haben 2015 die relativ starren Konzepte der klassischen Soziokratie und Holakratie zur Soziokratie 3.0 weiterentwickelt. Diese zeichnet sich durch die Integration von Agile- und Lean- Ansätzen aus. Vor dem Hintergrund sich ständig wandelnder Rahmenbedingungen und Marktanforderungen im Kontext von Digitalisierung und Globalisierung, wird Agilität immer mehr zu einem überaus wichtigen Kriterium für den Fortbestand und die Weiterentwicklung von Organisationen.

Irina: Da kann ich dir nur zustimmen. Agilität und agiles Management werden immer wichtiger für die Aufrechterhaltung von Organisationsstrukturen in unserem sozial beschleunigten digitalen Zeitalter.

Philippe: Genau und vor diesem Hintergrund bietet Soziokratie 3.0 dem Unternehmen einen open-source Methodenkoffer mit flexiblen Bausteinen und Praxisleitfäden für die agile Organisationsentwicklung.

S3 ist also sozusagen eine Sammlung von Prinzipien, um Organisationen dynamisch zu führen und zu entwickeln. Dazu gibt es aktuell 10 Gruppen mit insgesamt 70 modularen Methoden, den sogenannten „Mustern“ oder „Patterns“. Diese stehen wie bei Scrum als Optionen zur Verfügung und können bei Bedarf nach dem Pull-Prinzip herangezogen werden.

Irina: Sorry jetzt muss ich dich kurz unterbrechen. Kannst du das mit diesen Patterns etwas genauer erklären? 

Philippe: Patterns sind sozusagen methodische Leitfäden, die einem Themenkomplex also einer Gruppe zugeordnet werden. Ich muss zugeben die Sprache von Soziokratie 3.0 ist etwas gewöhnungsbedürftig und für Neulinge nicht gleich verständlich. Es kommen viele Anglizismen vor, die nur bedingt ins Deutsche übersetzt werden können. Ich werde im Folgenden versuchen immer Beispiele dazu aufzuführen. Also zur Gruppe „Organisationsentwicklung“ gehören beispielsweise die Patterns: Kreise, Rollen, Verbindungen zwischen Kreisen, etc.

Eine weitere Gruppe ist der Themenkomplex „Mitgestaltung ermöglichen“, zu welcher Patterns, wie „gemeinsame Werte“ oder „Die sieben Prinzipien leben“ gehören.

Irina: Welche sieben Prinzipien sind damit gemeint?

Philippe: Die sieben Grundprinzipien der Soziokratie 3.0.: Effektivität, Kontinuierliche Verbesserung, Empirismus, Konsent, Gleichstellung, Verantwortung und Transparenz. Alle Unternehmensakteure sollten diese Prinzipien verinnerlichen. Denn für die Umsetzung von Soziokratie 3.0 wird eine Mentalität benötigt, die auf diesen Prinzipien basiert.

Irina: Mh das hört sich ja ganz gut an, aber wie sieht das konkret in der Praxis aus?

Philippe: Zu aller erst sollen Spannungen als Organisationstreiber identifiziert werden. So könnten zum Beispiel mangelnde Kommunikation zwischen Projektteams oder anderen Akteuren oder fehlende Räume für Kreativität und Gruppenarbeiten als Spannungen wahrgenommen und als Treiber beschrieben werden. Diese Treiber werden in eine zuständige Domäne mit einem relevanten Kreis weiter geleitet. Daraufhin beginnt der kollektive Lösungsprozess.

Irina: Und wie sieht dieser Lösungsprozess aus?

Philippe: Das beschreibt das Pattern „Entscheidungsfindung mit Konsent“ ganz gut. In einem moderierten Gruppenprozess werden zu dem eingebrachten Treiber Vorschläge entwickelt und vorgestellt sowie Einwände gesammelt und integriert. Entscheidungen und Aktionen werden also ausschließlich im Konsentverfahren beschlossen.

Kurz zur Erläuterung: Konsens bedeutet die Entscheidung ist getroffen, wenn alle dafür sind. KonsenT bedeutet die Entscheidung wird getroffen, wenn nichts mehr dagegen spricht.

Irina: Ja genau vom Konsentprinzip in der Holakratie haben wir ja letzte Woche schon etwas von Anna erfahren.

Was sind denn die grundlegenden Steuerungsformen in der Soziokratie 3.0?

Philippe: S3 bevorzugt dezentrale Steuerungsformen in Netzwerkartigen Strukturen, die jedoch auch geringfügig hierarchisch sein können. Steuerung findet, wie bei der klassischen Soziokratie über Kreise statt. S3 hat Patterns für unterschiedliche Kreismodelle und Verlinkungssysteme für einen möglichst sinnvollen Auf- oder Umbau der Unternehmensstruktur. Zum Beispiel bietet S3 Leitfäden für die sogenannte Pfirsichorganisation, die fraktale Organisation, die Backboneorganisation oder die doppelt verlinkte Hierarchie. Es würde jetzt jedoch den Rahmen sprengen, wenn ich alle erklären würde.

S3 bietet auch mehrere Vorschläge für Meeting-Formate der Kreise. Auf der strategischen Ebene finden Steuerungs- bzw. Governancemeetings statt. Desweiteren können operative Koordinationsmeetings abgehalten werden, wie das Daily Stand-up

Rollen- und Domänen werden in offenen Wahlen und wieder im Konsent vergeben. Domäne bedeutet soviel wie Arbeits- und Entscheidungsbereich.

Ziel der Soziokratie 3.0 ist die Selbststeuerung, Selbstorganisation und Teilautonomie der Mitarbeiter innerhalb der Grenzen ihrer Domänen sowie ihrer Rollen. Der Effekt ist also eine Rückverlagerung der Macht und der Entscheidungsbefugnis zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Darauf muss sich die Managementebene natürlich auch einstellen, wenn Ansätze von S3 eingeführt werden.

Irina: Was sollte man noch bei der Umsetzung beachten?

Philippe: Einige Kritiker sagen, es fehle die Vision bei S3 die alle Mitarbeiter auf ein Ziel ausrichtet. Dies stellt bei S3 meiner Meinung nach jedoch der Primärtreiber dar, der sich im Zeitverlauf auch ändern kann. So ist BMW heute nicht mehr nur Automobilhersteller, sondern Mobilitätsdienstleister. Da S3 erst seit 2015 auf dem „Markt“ der neuen Betriebssysteme für Organisationen besteht, ist es noch wenig gefestigt und fluide. Genau so dynamisch soll es aber auch bleiben und alle Nutzer*Innen sind eingeladen den Methodenkoffer weiter zu entwickeln und zu optimieren. Deshalb ist es eben auch eine Open-Source-Sache.

Und zum Schluss muss man nochmal betonen, dass S3 kein Komplettpaket bietet, was aber gerade im Hinblick auf die starre Implementierungslogik der Holakratie einen großen Vorteil darstellt. S3 kann schrittweise eingeführt werden und nur die für das Unternehmen sinnvollen Patterns und Methoden werden herangezogen.

Irina: Mir erscheint das Konzept des flexiblen Methodenkoffers von S3 als recht sinnvoll. Auch das Open-Source-Prinzip finde ich gut, da es die Weiterentwicklung von S3 ermöglicht.

Welche Technik bzw. Technologien müssen deiner Meinung nach bei der Einführung zur Verfügung stehen?

Philippe: Alles was S3 braucht sind eigentlich die Menschen im Unternehmen. Voraussetzung ist dabei ein agiles Mindset, denn Agilität beginnt im Kopf. Die vorher vorgestellten Prinzipien sollten verinnerlicht und in die Unternehmenskultur übernommen werden. S3 stellt für mich einen praxistauglichen „Sozialtechnologie-Koffer“ dar. Die Patterns mit den methodischen Leitfäden können im weitesten Sinne als Kommunikations- und Sozialtechnologien für die Transformation des Unternehmens gesehen werden. Eine digitale Plattform als unterstützendes Tool bei der Einführung von S3 kann ich mir gut vorstellen.

Irina: Oh ich sehe wir müssen langsam zum Ende kommen. Eine letzte Frage: Wie schätzt du das von Soziokratie 3.0 ausgehende Potenzial bezüglich Teilhabe und Partizipation ein? 

Philippe:  Ich schätze das Potenzial bezüglich Partizipation und Mitbestimmung in der S3 als sehr hoch ein. Wie vorher schon ausführlich erklärt, beschäftigen sich viele Bausteine der S3 mit Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Organisation. So zum Beispiel die Anwendung des Konsentprinzips, Wahlen oder die soziokratische Kreisorganisation, alles Elemente von mehr Teilhabemöglichkeiten für die Mitarbeiter. Also alles demokratisierende Elemente einer Organisation. Soziokratie und KonsenT sind meiner Meinung nach sogar die „bessere“ Demokratie, als Mehrheitsentscheidungen, da nicht die Mehrheit gewinnt, sondern das beste verfügbare Argument.

Irina: Vielen Dank, lieber Philippe, dass du heute hier warst, echt ein tolles Konzept, muss ich sagen.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, das war die Podcastreihe „Partizipation und Teilhabe in Unternehmen“. Falls ihr die ersten beiden Folgen noch nicht gehört haben solltet, holt das gerne nach. Ich hoffe ihr habt genauso viel gelernt wie ich und habt Inspiration bekommen, wie ihrer euer Unternehmen demokratischer gestalten könnt. Wenn ihr Wünsche für weitere Podcastreihen habt, teilt sie mir gerne mit. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal. Eure Irina Braun.

Mediennachweis und Organisatorisches

Literatur


Bild und Musik

Beitragsbild: Geralt – Handshake auf Pixabay. Verwendung unter den Bedingungen der Creative Commons 0.

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